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In einem offenen, oft humorvollen Kamingespräch auf Litauisch zeichnete Petras Narbutas — ein erfahrener Unternehmer und Gründer einer der bekanntesten litauischen Büromöbelmarken — seine drei Jahrzehnte des Aufbaus in einer sich wandelnden Wirtschaft nach. Moderiert von Vilius Bernatonis, reichte das Gespräch von persönlichen Anekdoten bis zu präzisen Empfehlungen, wie Litauen wettbewerbsfähig bleibt, wenn billige Arbeit nicht mehr der Trumpf ist.
Narbutas plädierte für tiefgreifende Automatisierung, Investitionen in Intellekt (F&E, Design, Software), evidenzbasierte Regulierung und eine langfristige nationale Strategie, die gegen Wahlzyklen abgeschirmt ist. Dabei erklärte er, warum Erfolg kein "Geheimrezept" ist, schilderte, wie sie während der Krise 2008–09 knapp "an der Grenze der Kontrolle" fuhren, und warnte — trotz optimistischer Diskussionen über eine bedeutende neue Fabrikinvestition auf der Bühne — dass Arbeitskräftemangel und politische Unentschlossenheit das Wachstum ersticken könnten, wenn sie nicht pragmatisch angegangen werden. Er betonte, dass konkrete Schritte notwendig sind, um Chancen in nachhaltige Wettbewerbsvorteile zu verwandeln und nannte dabei Beispiele aus dem eigenen Betrieb, etwa Schulungsprogramme für Fachkräfte und Pilotprojekte für automatisierte Montagestraßen.

Vom „Wilden Westen“ zur Weltklasse: Wie sich das Spielfeld seit 1991 verändert hat
Narbutas begann mit dem Kontext: Das Unternehmen wurde im Februar 1991 registriert, einer Zeit, in der das litauische Geschäftsumfeld wie der „Wilde Westen“ wirkte. Die Löhne waren minimal (er scherzte, dass USD 20/Monat damals ein „gutes Gehalt“ gewesen sei), doch der Talentpool war außergewöhnlich: mehr als die Hälfte der frühen Produktionsmitarbeiter hatten Hochschulabschlüsse — viele, wie er selbst, aus der Physik.
Diese Kombination — hohe Motivation + hohe Bildung + eine Sparmentalität („Hunger“) — trieb die erste Wachstumsphase an. Aber das Umfeld hat sich verschoben: Es gibt jetzt stärkeren internationalen Wettbewerb, höhere Lebensstandards und veränderte Erwartungen an Arbeit und Vergütung. Zudem verlangt die nächste Entwicklungsstufe andere Fähigkeiten: nicht nur handwerkliches Können, sondern systemisches Denken in Produktionsprozessen und Produktentwicklung.
Litauer sind nicht „per se überlegen“; der frühe Vorsprung war situativ — gute Bildung, gesunde Gewohnheiten, Traditionen und historische Faktoren, die damals vorteilhaft zusammenwirkten.
Der Hunger hat nachgelassen: Nach einem historischen Aufholsprint erwarten die Menschen heute einen komfortablen europäischen Lebensstandard. Das ist ein Erfolg, reduziert aber gleichzeitig die frühere Antriebskraft und verändert Arbeitsmoral und Risikobereitschaft.
Der Kostenvorteil ist weg: Arbeit ist nicht mehr billig; Produktivität ist der Bereich, in dem Litauen noch aufholen muss — denn jahrelang konnten Unternehmen mit geschickten Händen Erfolge erzielen, statt in teure automatisierte Linien zu investieren. Das bedeutet, dass die künftige Wettbewerbskraft eher über Technologie, Prozesse und intellektuelles Kapital als über niedrige Lohnkosten gewonnen wird.
„Wir besitzen großartige Einzelmaschinen — aber keine vollständigen automatisierten Linien. Das war rational, als Arbeit erschwinglich war. Jetzt hat sich das geändert. Entweder wir überqueren die Brücke zu Linien und Intelligenz — oder wir werden überholt.“
Wettbewerb ohne Kostenvorteil: Automatisierung und Intellekt
Narbutas teilte die Investitionsagenda in zwei klare Bereiche auf, um die Umstellung zu strukturieren und Risiken zu minimieren:
Harte Automatisierung — der Übergang von isolierten Maschinen zu integrierten Produktionslinien, selbst wenn die Investitionsausgaben an Linienhersteller „wahrscheinlich in Westeuropa“ gehen. Solche Investitionen erfordern Planung, Finanzierung und die Entwicklung von Schnittstellenkompetenzen zur Instandhaltung und Produktintegration.
Intellektuelle Investitionen — Design, Engineering, Software, Daten, F&E, wo Einsparungen und Differenzierung oft größer sind als bei reiner Metallbearbeitung. Diese Bereiche ermöglichen Produktinnovationen, marktwirksame Features und wiederkehrende Erlösmodelle wie Software-Updates oder Serviceverträge.
„Wir haben nicht in Intellekt investiert, weil er schlichtweg nicht da war — jetzt müssen wir. Unser Vorteil kann nicht mehr national oder geografisch sein; er muss firmenspezifisch sein.“
Was erklärt Erfolg wirklich? (Hinweis: Es sind keine Geheimrezepte)
Ein Reporter fragte ihn einmal direkt: „Warum sind Sie so erfolgreich — was ist der eine Grund?“ Er listete 2017 17 Wettbewerbsvorteile auf und merkte dann, dass Konkurrenten diese Vorteile bereits kannten. Der Punkt sei nicht die Liste selbst, sondern wie man die Fähigkeiten baut und dauerhaft aufrechterhält.
„Das Geheimnis ist nicht — welche Vorteile man hat — sondern warum man sie hat und andere nicht. Die Checkliste zu kennen ist einfach. Fähigkeiten aufzubauen ist die schwere Aufgabe.“

Arbeitskräftemangel ist real — Also machen Sie Migrationspolitik logisch
Zum ersten Mal, so berichtete er, könne das Unternehmen nicht so viel produzieren, wie es verkaufen könnte, weil es nicht genügend Arbeitskräfte gibt. Er übte Kritik an der Blockade in der Debatte über Arbeitsmigration und forderte pragmatische Regelungen, die Nachfrage und Sozialverträglichkeit ausbalancieren:
In der Öffentlichkeit besteht die Befürchtung, dass Unternehmen „nur billige Arbeitskräfte wollen“. Diese Sorge müsse ernst genommen werden, doch pauschale Ablehnung sei kontraproduktiv.
Gleichzeitig würden manche Regeln erzwingen, dass ausländische Beschäftigte höher bezahlt werden als Einheimische — das sei „illogisch“, wenn das Ziel ist, Lücken zu füllen und nicht Löhne zu drücken. Sinnvoller sei eine differenzierte Politik, die Qualifikation, Sektorbedarf und regionale Faktoren berücksichtigt.
„Wenn wir uns alle einig sind, dass die Bevölkerung altert und Arbeiter knapp sind, dann gestaltet eine logische Migrationspolitik — wer und unter welchen Bedingungen — damit Unternehmen planen können.“
Beweise statt Optik: Regulieren Sie mit Daten, nicht mit runden Zahlen
Narbutas kritisierte Politik, die nach „schönen runden Zahlen“ gestaltet wird — von Überstundenzuschlägen bis hin zu Debatten über die Vier-Tage-Woche — und fragte, ob solche Vorschläge auf seriöser Forschung beruhen oder eher politischer Optik dienen. Seine Forderung: Regulierung müsse Wirkungen messen und mit Pilotprojekten validiert werden, bevor sie landesweit eingeführt wird.
„Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen Entscheidungen evidenzbasiert sein — gestützt auf Forschung und Wirkungsanalysen, nicht nur auf Meinung oder Wahlkampfversprechen.“
Krisenfahren: Das Mario-Andretti-Prinzip
Er verglich Unternehmertum mit dem Fahren am Limit:
„Wenn man zu komfortabel fährt, wird man überholt. Ist man hingegen am Limit, besteht die Gefahr, bei einer plötzlichen Kurve abzurutschen.“
In 2008–09 seien sie tatsächlich ins Rutschen gekommen — aber sie überlebten. „Das Glück spielte eine Rolle“, gab er zu. „Wären wir damals gescheitert, wären wir heute nicht hier.“
Die Lehre: kontrolliertes Risiko gehört zum Wachstum — Bequemlichkeit tötet Champions. Narbutas empfahl, Risiken zu quantifizieren, Notfallpläne zu entwickeln und aus jedem Schock zu lernen, beispielweise in Form von verbesserten Liquiditätsreserven oder flexibleren Lieferketten.
Zur Regierung: Lob für die Vergangenheit, Rezept für die Zukunft
Nachdem er jede litauische Regierung der letzten 35 Jahre erlebt hat, verzichtete Narbutas auf pauschale Politikerkritik:
„Wir wurden in 20 Jahren in der EU zu Meistern — also haben Regierungen und Wirtschaft gemeinsam etwas richtig gemacht.“
Für die Zukunft fordert er jedoch Strategie über Parteien:
Eine überparteiliche Institution, die eine 20–30-jährige nationale Strategie (Vision → Strategie → Umsetzung) erarbeitet, jenseits kurzfristiger Wahlzyklen. Solch eine Institution sollte klare Messgrößen, regelmäßige Evaluationszyklen und ein Mandat zur Koordination zwischen Ministerien haben.
Ein kühnes kulturelles Ziel: Politik zu einem prestigeträchtigen Beruf machen — dann wird es realistischer, auch Lehren wieder anzuerkennen und Berufe wie Lehramt aufzuwerten. Dies könnte durch bessere Ausbildung, transparente Karrierewege und Anreize für qualifizierte Kandidaten erreicht werden.

Warum Litauen noch gewinnen kann (und was es ausbremsen könnte)
Warum es gewinnen kann:
Eine Erfolgsbilanz vom Aufbau aus Mangel zu hoher Qualität: Die Wirtschaft hat bereits mehrfach den Sprung geschafft, Infrastruktur aufgebaut und Exportbeziehungen etabliert.
Eine Kultur, die sich bewusst entscheiden kann, von Händen zu Köpfen + Maschinen zu pivotieren — also in Richtung Wissensintensität und Technologiefokus zu steuern.
Eine Volkswirtschaft, die bereit ist, Automationslinien und intellektuelles Kapital gemeinsam einzusetzen — das Zusammenspiel ist entscheidend: Maschinen erhöhen Kapazität, Intellekt schafft Differenzierung.
Was es ins Stolpern bringen könnte:
Arbeitskräftemangel ohne pragmatische Migrationspolitik — das limitiert Produktion und verhindert die Skalierung neuer Investitionen.
Regulierung nach Optik, nicht nach Evidenz — politische Modeideen ohne Wirksamkeitsprüfung können Wettbewerbsfähigkeit beschädigen.
Unterinvestition in Automatisierung/F&E, sodass Produktivität hinter steigenden Löhnen zurückbleibt — das gefährdet langfristige Renditen und Arbeitsplätze.
Selbstzufriedenheit nach zwei Jahrzehnten des Aufholens — mangelnder Veränderungswille führt zu Innovationsstau.
„Früher waren wir die Hungrigen. Jetzt müssen wir die Klugen und Automatisierten werden. Nur so bleiben wir weiterhin Champions.“
Eine Anmerkung zu Investitionen und Ausblick
Auf der Bühne verwies Bernatonis auf eine bedeutende €170-Millionen-Fabrikinvestition, die an Litauen gebunden sei — dargestellt als Vertrauensbeweis in die Zukunft des Landes. Narbutas hielt den Optimismus dennoch erdverbunden: Optimisten können ‚unterinformiert‘ sein, wenn sie die Engpässe nicht sehen. Die Wirtschaft brauche Zukunftszufluss an Talenten, produktivitätssteigernde Sprünge und politische Klarheit, damit Investitionen in Sachkapital auch zu dauerhafter Wettbewerbsfähigkeit werden. Er nannte als praktische Maßnahmen steuerliche Anreize für F&E, Förderprogramme für Pilotprojekte und staatliche Unterstützung bei Fachkräftequalifikation als Hebel, um Kapital in Produktivitätssteigerung zu verwandeln.

Kernaussagen (für Investoren & Politikgestalter)
Der Kostenvorteil ist vorbei → Konkurrenz erfolgt über Produktivität (Automationslinien) und Intellekt (F&E/Design/Software). Investoren sollten daher Produktions- und Innovationskapazitäten zusammen betrachten.
Arbeit ist die knappe Ressource → Schafft kohärente Migrations- und Talentpolitik. Praktische Schritte sind gezielte Arbeitsvisa, Umschulungsprogramme und Anreize für Rückkehrer.
Reguliert nach Forschung → Testet Annahmen (Überstundenzuschläge, Arbeitszeitmodelle) mit Wirkungsdaten, Piloten und unabhängigen Evaluierungen.
Institutionalisieren Sie Strategie → Eine überparteiliche, langfristige Wirtschaftsstrategie sichert Momentum über Wahlperioden hinweg und schafft Investitionssicherheit.
Controlled Risk akzeptieren → Wachstum erfordert am Limit zu operieren, nicht Komfortzonen. Gleichzeitig sollte das Risiko messbar und steuerbar bleiben.
Quelle: smarti
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