Wilde Honigbienen in der EU – Status, Bedrohung, Schutz

Wildlebende Apis mellifera in der EU wurden als gefährdet eingestuft. Der Text erklärt Definition, Verbreitung, Bedrohungen, Monitoring (Honey Bee Watch) sowie Konsequenzen für Naturschutz, Landwirtschaft und Politik.

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Wilde Honigbienen in der EU – Status, Bedrohung, Schutz

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Wildlebende Populationen der westlichen Honigbiene (Apis mellifera) wurden innerhalb der Europäischen Union offiziell als gefährdet eingestuft, eine formelle Anerkennung, die dringende Fragen zum Schutz von Bestäubern auf dem Kontinent aufwirft. Diese Aktualisierung der Roten Liste der IUCN resultiert aus koordinierten Forschungsbemühungen, die frei lebende Kolonien von gehaltenen Völkern unterscheiden und einen besorgniserregenden Rückgang wirklich wilder Bienen dokumentieren.

Ein neuer Rote-Liste-Status für eine vertraute Art

Honigbienen werden oft als weit verbreitet und erfolgreich wahrgenommen, weil Honigproduktion und kommerzielle Imkerei sichtbare und wachsende Branchen sind. Doch längst nicht alle Honigbienen leben unter der Obhut von Imkern. Über Millionen von Jahren nisteten Honigbienen in Baumhöhlen, Felsvorsprüngen und anderen natürlichen Hohlräumen. Diese sich selbst tragenden, frei lebenden Kolonien stehen nun im Fokus wissenschaftlicher Neubewertungen.

Bis vor kurzem verwischte die wissenschaftliche Datenlage den Unterschied zwischen gehaltenen und wilden Populationen. Gehaltene Völker werden überwacht, für Bestäubungsdienstleistungen versetzt und von Imkern ergänzt; wildlebende Kolonien dagegen nicht. Das europäische Update — getragen von Forschern in Zusammenarbeit mit der Internationalen Union für die Erhaltung der Natur (IUCN) und koordiniert durch Projekte wie Honey Bee Watch — trennt die Gruppen nach Ökologie und Persistenz, nicht ausschließlich nach genetischen Merkmalen. Diese Unterscheidung ist zentral, um konkrete Schutzmaßnahmen zu entwickeln, die sowohl biologische Eigenheiten als auch praktische Managementfragen berücksichtigen.

Wie Forschende "wild" definierten und warum das wichtig ist

Die Klassifizierung wilder Honigbienen erforderte eine praktikable und überprüfbare Definition. Anstatt ausschließlich nach genetischen Markern zu suchen, übernahmen Wissenschaftler zwei ökologische Kriterien: Eine Population gilt als wild, wenn sie frei von menschlicher Bewirtschaftung lebt und in der Lage ist, ihre Bestände ohne regelmäßiges Einbringen neuer Völker (beispielsweise entkommener Beuten) selbst zu erhalten.

Dieser Ansatz erkennt an, dass Apis mellifera nicht vollständig domestiziert ist — Genfluss zwischen gehaltenen und unbetreuten Kolonien findet statt — erlaubt aber, ökologisch unabhängige Populationen zu bewerten. Anhand von Populationsdynamiken und Feldbelegen kamen die Gutachter zu dem Schluss, dass wildlebende Kolonien in der EU stark zurückgegangen sind und die Kriterien für eine Einstufung als "gefährdet" innerhalb der Union erfüllen. Diese Einschätzung basiert auf langfristigen Beobachtungen, Demografiedaten und dokumentierten Rückgangsraten an mehreren Standorten.

Wo wildlebende Kolonien noch vorkommen

Feldteams dokumentierten frei lebende Honigbienenvölker über ein Mosaik europäischer Landschaften: von irischen Wäldern und britischen Heckenlandschaften über deutsche und Schweizer Forste, Nationalparks in Frankreich, vereinzelte Vorkommen in Italien und Polen bis hin zu urbanen Kolonien, wie sie etwa in Belgrad, Serbien, gemeldet wurden. Trotz dieser Fundorte weist Europa eine der niedrigsten Dichten wirklich frei lebender Honigbienenkolonien weltweit auf; gehaltene Völker sind zahlenmäßig den Wildnestern weit überlegen.

Die Verteilung ist oft fragmentiert: Kleine Populationen überdauern in Schutzgebieten, extensiv genutzten Landschaften oder in Städten, wo geeignete Niststrukturen (alte Bäume, Gebäudeöffnungen) und vielfältige Trachtflächen vorhanden sind. Solche Restvorkommen sind jedoch meist isoliert und anfällig für demographische Schwankungen, wodurch ihr langfristiges Überleben gefährdet bleibt.

Eine wildlebende Honigbienenkolonie, die die Autorin in Irland entdeckte

Hauptbedrohungen: Habitatverlust, Krankheiten und Hybridisierung

Die Einstufung als gefährdet reflektiert eine Kombination miteinander wechselwirkender Druckfaktoren. Habitatverlust verringert die Verfügbarkeit von Nisthohlräumen und blütenreichen Ressourcen. Invasive Parasiten und Krankheitserreger — namentlich die Varroamilbe (Varroa destructor) und damit verbundene Viren — fordern einen hohen Tribut. Zudem kann menschlich vermittelte Hybridisierung zwischen Zuchtstämmen und verbliebenen Wildlinien lokal angepasste Eigenschaften auswaschen, die Kolonien erlauben, unter natürlicher Selektion zu überdauern.

Wildlebende Kolonien tragen genetische und verhaltensbiologische Merkmale in sich, die sich über lange Zeiträume zur Bewältigung von Parasiten, saisonaler Knappheit und lokalen Klimabedingungen ohne menschliche Eingriffe entwickelt haben. Ihr Rückgang ist nicht nur ein Verlust ikonischer Wildtierbestände: Er vermindert die Resilienz sowohl wildlebender als auch gehaltener Bienenvölker und könnte Bestäubungsleistungen schwächen, die Nahrungsmittelproduktion und Biodiversität stützen. Zusätzlich erhöhen Fragmentierung und Isolation das Risiko für Inzucht, genetische Verarmung und lokale Aussterben.

Zu den weiteren menschlichen Einflüssen zählen intensive Landwirtschaft mit Flächenumwandlung, Pestizidbelastung, Veränderung von Landschaftsstrukturen (z. B. Verlust alter Bäume), sowie der kommerzielle Transport von Bienenvölkern, der Krankheiten und Parasiten über weite Distanzen verbreiten kann. Die Kombination dieser Faktoren verschärft die Gefährdungslage und erschwert Erholungsprozesse in der Natur.

Monitoring und das Honey Bee Watch-Netzwerk

Fragmentierte Studien verknüpfen

Honey Bee Watch, 2020 gestartet, ist eine globale Initiative, die unabhängige Forschende, Citizen Scientists und Naturschützer zusammenbringt, um frei lebende Honigbienenkolonien zu kartieren und Bewertungsmethoden zu standardisieren. Unter diesem Dach trug ein Expert*innen-Konsortium zur Neubewertung der Roten Liste in Europa bei, indem es Daten aus Nationalparks, langfristigen Monitoring-Stationen und Ad-hoc-Untersuchungen zusammenführte und harmonisierte.

Die Vernetzung solcher Studien ist entscheidend, weil viele Lokalstudien zwar detaillierte Erkenntnisse liefern, aber in ihrer Aussagekraft begrenzt sind, solange sie isoliert betrachtet werden. Honey Bee Watch fördert standardisierte Datenerhebung, Schulungen für Beobachterinnen und Beobachter sowie gemeinsame Datenbanken, die vergleichbare Zeitreihen und flächendeckende Analysen ermöglichen.

Werkzeuge und Methoden

Feldarbeit kombiniert Nestsuche, ökologische Surveys, fotografische Dokumentation und, wo sinnvoll, nicht-invasive genetische Probenahme, um Persistenz und Reproduktionsfähigkeit von Populationen zu verstehen. Ferner helfen Fernerkundung und Habitatkartierung, potenzielle Niststandorte und Bereiche mit geeigneter Tracht zu identifizieren. Entscheidend ist, dass die ökologische Definition von "wild" langfristige demografische Nachweise fordert — also Belege dafür, dass eine Population ohne Supplementierung reproduziert und über mehrere Generationen hinweg überdauern kann.

Zudem werden Methoden zur Krankheitsüberwachung eingesetzt, etwa Screening auf Varroa-Befall und virusbedingte Erkrankungen, sowie Technologien wie automatisierte Bioakustik-Aufzeichnung oder KI-gestützte Bildanalyse, um Aktivitätsmuster und Neststandorte effizienter zu erfassen. Kombinationen aus Freilandbeobachtung, lokalem Wissensaustausch mit Imkern und statistischen Modellierungen liefern robuste Einschätzungen zur Populationsentwicklung.

Folgen für Naturschutz und Landwirtschaft

Die Einstufung von wildlebenden Apis mellifera als gefährdet innerhalb der EU hat praktische und symbolische Konsequenzen. Sie legitimiert gezielte Naturschutzmaßnahmen: den Schutz von Lebensräumen, die wildlebende Kolonien beherbergen, die Stärkung der Biosicherheit zur Begrenzung der Ausbreitung von Parasiten sowie die Priorisierung von Forschung zu natürlichen Anpassungen, die Überleben ohne menschliche Unterstützung ermöglichen. Solche Maßnahmen können Schutzgebietsmanagement, habitatfördernde Agrarpolitiken und gezielte Förderprogramme umfassen.

Für die Landwirtschaft ist die Erhaltung wildlebender Populationen eine Investition in genetische Vielfalt. Eigenschaften, die in robusten Wildkolonien gefunden werden — natürliche Varroa-Resistenz, Verhaltensabwehrmechanismen, lokale Klimaadaptionen — können Zuchtprogramme und Managementpraktiken informieren, um Verluste in kommerziellen Beständen zu reduzieren. Darüber hinaus können gut erhaltene Wildpopulationen die Stabilität von Bestäubungsdienstleistungen erhöhen, indem sie lokale Puffer gegen Ausfälle bilden.

Langfristig kann die Integration von Schutzmaßnahmen für wilde Bestäuber in agrarische Landschaften auch synergetische Effekte haben: Förderung blütenreicher Randstreifen, extensivere Bewirtschaftung oder das Belassen von Altbäumen verbessert nicht nur Bedingungen für Honigbienen, sondern stärkt die gesamte Insektenfauna und damit die Ökosystemfunktionalität.

Politik und öffentliche Beteiligung

Effektiver Schutz wird sektorübergreifende Zusammenarbeit erfordern: Naturschutzbehörden, Imkerorganisationen, landwirtschaftliche Interessengruppen und Stadtplaner müssen koordiniert handeln. Politiken, die alte Bäume erhalten, blütenreiche Habitaträume schützen und das unkontrollierte Verschieben von Beuten einschränken, sind wirksame Hebel. Gleichzeitig können Anreize für bienenfreundliche Bewirtschaftung und die Integration von Bestäuberzielen in Raumordnungspläne positive Effekte erzielen.

Citizen-Science-Plattformen spielen eine Schlüsselrolle, indem sie Sichtungen melden, Neststandorte validieren und langfristige Beobachtungsreihen liefern, die für das Nachverfolgen von Wildpopulationstrends essenziell sind. Öffentlichkeitsarbeit und Bildung – z. B. über die Bedeutung wilder Honigbienen für Biodiversität und Nahrungsmittelproduktion – fördern Akzeptanz für Schutzmaßnahmen und erleichtern die Beteiligung lokaler Initiativen.

Experteneinsicht

"Die Anerkennung wildlebender Honigbienen als gefährdet innerhalb der EU verändert unsere Herangehensweise an den Bestäuberschutz", sagt Dr. Elena Marquez, eine für regionale Bewertungen beratende Naturschutzbiologin. "Dabei geht es nicht darum, die Imkerei zu ersetzen; es geht darum, ökologische Prozesse und genetische Vielfalt zu erhalten. Wilde Kolonien sind lebende Labors, die zeigen, wie Bienen mit Parasiten und sich ändernden Klimabedingungen zurechtkommen. Ihr Verlust raubt uns Optionen für künftige Resilienz."

Dr. Marquez betont, dass der Schutz wilder Bienen sowohl lokale Habitatmaßnahmen erfordert — wie das Belassen alter Bäume und das Schaffen blütenreicher Korridore — als auch weiterreichende Schritte zur Reduzierung der Krankheitsübertragung durch vermehrte Transporte von Beuten. Sie empfiehlt zudem, Forschungsförderung stärker auf Langzeitstudien und die Erforschung natürlicher Abwehrmechanismen zu konzentrieren, um gezielte Erhaltungsstrategien zu entwickeln.

Was als Nächstes folgt?

In vielen Regionen außerhalb der EU bestehen noch erhebliche Datenlücken: Der gesamt-europäische Status wird für zahlreiche Gebiete, darunter Teile des Balkans, die baltischen Staaten, Skandinavien und Osteuropa, weiterhin als "datenarm" geführt. Das Schließen dieser Lücken erfordert mehr koordinierte Untersuchungen, standardisierte Berichtssysteme und Finanzmittel für langfristiges Monitoring. Ohne vergleichbare Daten bleiben Aussagen zur Populationsdynamik und zu passenden Schutzmaßnahmen unsicher.

Wichtige nächste Schritte sind die Ausweitung standardisierter Erhebungen, die Förderung grenzüberschreitender Forschungsprojekte und die Entwicklung von Richtlinien, die sowohl den Schutz wilder Kolonien als auch die Interessen der Imkerei berücksichtigen. Darüber hinaus sind Bildungsmaßnahmen nötig, um imkerliche Praktiken mit Naturschutzzielen in Einklang zu bringen — etwa durch Empfehlungen zu Standortwahl, Transportverhalten und Seuchenprävention.

Für den Moment ist die Einstufung als gefährdet innerhalb der Europäischen Union ein Aufruf zum Handeln. Sie fordert Forschende auf, weiterhin wildlebende Kolonien zu kartieren und zu untersuchen, politische Entscheidungsträger auf, schützende Rahmenbedingungen zu schaffen, und die Öffentlichkeit darauf, anzuerkennen, dass nicht alle Honigbienen gehalten werden — einige sind heimische Wildtiere, die dringend Schutz benötigen. Der Erhalt dieser Populationen ist ein Beitrag zum Schutz der biologischen Vielfalt, zur Sicherung von Bestäubungsleistungen und zur Stärkung der ökologischen Resilienz gegenüber künftigen Herausforderungen.

Quelle: sciencealert

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