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Bitcoin zeigt IPO-ähnliche Verteilung, während Inhaber rotieren
Der Makroanalyst Jordi Visser argumentiert, dass sich Bitcoin (BTC) offenbar in dem befindet, was er als eine „initial product offering“ bezeichnet — praktisch eine IPO-ähnliche Rotation — bei der langjährige Inhaber schrittweise verkaufen und neue Investoren nachrücken. Statt eines panikgetriebenen Ausverkaufs sieht Visser einen gemessenen Transfer des Angebots von stark konzentrierten frühen Gläubigern hin zu einer breiteren Basis aus langfristigen Anlegern und Institutionen. Dieser Prozess kann ein verlängertes Seitwärtsmarktumfeld erzeugen, bevor ein signifikanter Ausbruch stattfindet.
Warum Visser diese Phase mit einem IPO vergleicht
Visser erläuterte auf Anthony Pompliano’s Podcast und in einem Substack-Beitrag, dass ruhende Coins — einige davon jahrelang unverändert — wieder aktiviert werden. Die Bewegung verläuft langsam und geordnet: Coins strömen nicht auf einmal an Börsen, sondern werden stetig verteilt, während Käufer die Rücksetzer nutzen, um Positionen aufzubauen. In traditionellen Märkten ist das vergleichbar mit dem Lebenszyklus eines Börsengangs: Gründer und frühe Unterstützer realisieren Gewinne, Risikokapital erhält Rückflüsse, und die Eigentumsverhältnisse verschieben sich von einer kleinen Gruppe von Visionären zu einem breiteren Investorenkreis.
Dieser Eigentumswechsel verändert laut Visser die Marktmechanik. Konzentrierter Besitz begünstigt oft scharfe, richtungsbestimmte Bewegungen; eine breitere Verteilung hingegen kann zu stabilerem und langlebigerem Preisverhalten führen. Praktisch bedeutet das: BTC könnte monatelang seitwärts tendieren, während der Markt diese Eigentumsveränderungen verdaut — eine Frustration für kurzfristige Spekulanten, aber eine Stärkung der langfristigen Argumentation für das Asset.
Seitwärtsbewegung und aktuelle Preisspanne
In der vergangenen Woche bewegte sich Bitcoin in einer relativ engen Spanne: ungefähr zwischen $106.786 und $115.957, mit einem mittleren Kurs nahe $110.904. Visser vergleicht diese Konsolidierung mit dem Verhalten von Aktien nach dem Ende von Lock-up-Perioden: Die Aktie stürzt nicht zwangsläufig ab; sie konsolidiert, während frühe Inhaber verkaufen und neue, geduldige Besitzer sukzessive aufbauen.

Neue Hände betreten den Markt, doch sie agieren vorsichtig. Viele Käufer warten ab, bis der Verteilungsprozess weitgehend abgeschlossen ist, bevor sie ihre Engagements deutlich erhöhen. Das führt zu einer langsamen, schrittweisen Preisentwicklung, die für Trader, die einen sofortigen Rallyeausbruch erwarten, besonders zermürbend sein kann. Diese Art von „Grinding“-Markt ist typisch für Phasen, in denen Supply- und Demand-Dynamiken neu justiert werden und Volatilität vorübergehend gedämpft erscheint.
Fundamentaldaten bleiben trotz schlechter Stimmung unterstützend
Marktstimmungsindikatoren wie der Crypto Fear & Greed Index zeigten in letzter Zeit eher „Angst“-Werte — ein Spiegelbild von Unsicherheit und kurzfristigem emotionalen Druck. Visser hebt jedoch verschiedene On-Chain- und regulatorische Signale hervor, die Vertrauen in die Widerstandsfähigkeit von Bitcoin signalisieren:
- Laufende Zulassungen und institutionelles Interesse an Bitcoin-ETFs, die regulierte Expositionsmöglichkeiten erweitern und institutionelle Nachfrage erleichtern.
- Die Hashrate des Bitcoin-Netzwerks erreicht neue Höchststände und zeigt damit robuste Mining-Aktivität sowie eine starke Netzwerksicherheit.
- Zunehmende Adoption von Stablecoins, die Liquidität und On-Ramps in Krypto-Märkte unterstützen und Handels- sowie Arbitrageaktivitäten erleichtern.
Diese fundamentalen Indikatoren deuten eher auf Akkumulation als auf Kapitulation hin. Visser betont, dass in einem echten Bärenmarkt nahezu keine Käufer vorhanden sind und die Preise wiederholt neue Tiefs bilden. Im aktuellen Umfeld hält Bitcoin hingegen eine Spanne, und jeder Rücksetzer trifft auf Käufer — ein klares Signal, dass der Markt konsolidiert und nicht kollabiert.
Aus on-chain-perspektive sprechen zusätzliche Metriken für ein solides Fundament: Wallet-Adressen mit langfristigem Halt (Long-Term Holders), Abflüsse von Börsenbeständen (Exchange Outflows), sinkende Verkaufsraten von frühen Adressen sowie ein stabiler oder steigender Anteil an langfristig nicht bewegten Coins (Dormant Supply). Diese Signale korrelieren mit Phasen, in denen institutionelle Produkte (wie ETFs) und breitere Retail-Teilnahme zusammenwirken und das Angebot sukzessive streuen.
Was das für Investoren und Trader bedeutet
Erwarten Sie anhaltende Konsolidierung: Visser rechnet damit, dass die „IPO-Phase“ andauern wird und basierend auf typischen Verteilungszeiträumen wahrscheinlich rund sechs Monate dauern könnte (wobei IPO-Zyklen in traditionellen Märkten oft sechs bis 18 Monate betragen). Da Bitcoin jedoch häufig schneller reagiert als viele traditionelle Assets, könnte die aktuelle Phase noch in der ersten Hälfte dieses Zeitfensters liegen.
Für Anleger und Trader ergeben sich daraus folgende Implikationen:
- Geringere kurzfristige Volatilität ist möglich, sobald die Verteilung das Eigentum sowohl unter Institutionen als auch im Retail-Bereich verbreitert.
- Ein klarer Ausbruchssignal sollte nicht unbedingt erwartet werden; Momentum kann sich unauffällig aufbauen, während die Fragmentierung der Eigentümerstruktur abgeschlossen wird.
- Aktive Trader sollten sich auf frustrierende, range-begrenzte Preisbewegungen einstellen und gleichzeitig On-Chain-Kennzahlen wie Hashrate, Exchange-Flows, Long-Term-Holder-Bestände und Volumina beobachten.
Darüber hinaus empfiehlt es sich für Investoren, Risiko-Management-Strategien zu priorisieren: Positionsgrößen moderat halten, gestaffelte Käufe über Dip-Niveaus in Betracht ziehen und Stop-Loss-Regeln diszipliniert anwenden. Für langfristig orientierte Anleger bleibt der Fokus auf fundamentalen Faktoren wie Angebotsschrumpfung (z. B. durch Halterverhalten), regulatorischer Klarheit und dem Ausbau institutioneller Infrastruktur relevant.
Langfristige Perspektive: Reifung eines Assets
Die von Visser beschriebene Rotation kann positiv interpretiert werden: Sie könnte den Übergang von Bitcoin markieren — weg von einem experimentellen, stark konzentrierten Asset hin zu einem reiferen, als Wertspeicher akzeptierten Instrument, das von diversifizierten Haltern getragen wird. Wenn Bestände von einer engen Gruppe früher Adopter zu einer breiteren institutionellen und privaten Eigentümerbasis wandern, kann sich die Marktstruktur zugunsten von Stabilität und Langlebigkeit verschieben.
Konkrete Effekte einer solchen Reifung sind unter anderem:
- Eine tendenziell niedrigere empirische Volatilität über längere Zeiträume, da Schocks besser durch eine größere Anzahl an Marktteilnehmern absorbiert werden.
- Weniger abrupte, manipulationsanfällige Richtungsbewegungen, da Einzelpositionen im Verhältnis zum Gesamtangebot an Einfluss verlieren.
- Erhöhte Bedeutung von regulatorischen Rahmenbedingungen und institutionellen Produkten (ETFs, Verwahrungslösungen), die das Vertrauen und die Skalierbarkeit für Großinvestoren fördern.
Kurz gesagt: Der aktuelle Seitwärtsdruck — angetrieben durch Distribution nach Jahren konzentrierter Besitzverhältnisse — könnte das Fundament für eine zukünftige Phase legen, in der Bitcoin weniger wie eine spekulative Kuriosität und mehr wie ein etabliertes Finanzinstrument reagiert. Bis dahin sollten Anleger mit Konsolidierung rechnen, ETF-Entwicklungen, Hashrate-Trends und Stablecoin-Flows beobachten und nicht kurzfristige Sentiment-Daten als Beweis für das Scheitern der Makrothese missinterpretieren.
Wichtig ist ferner, potenzielle Gegenrisiken nicht zu ignorieren. Regulatorische Eingriffe, technologische Änderungen im Protokoll, drastische Verschiebungen in der Mining-Ökonomie oder exogene makroökonomische Schocks können dieses Szenario verändern. Deshalb bleibt eine ausgewogene Analyse, die On-Chain-Daten, Marktstruktur, regulatorische Entwicklungen und makroökonomische Indikatoren kombiniert, entscheidend für fundierte Entscheidungen.
Als praktische Monitoring-Liste für Marktteilnehmer empfiehlt sich die fortwährende Beobachtung folgender Kennzahlen:
- Exchange-Bestände: Nettoabflüsse deuten auf Akkumulation hin, Zuflüsse auf erhöhten Verkaufsdruck.
- Hashrate und Mining-Difficulty: Stabilität oder Zunahme untermauert Netzwerksicherheit.
- Wallet-Distribution nach Alter und Coin-Bewegung: Aktivierung lang abgelegener Coins kann Verkaufssignale liefern, wenn sie mit massiven Exchange-Zuflüssen korrelieren.
- ETFs und institutionelle Produktzulassungen sowie Volumina: Diese geben Hinweise auf anhaltende Nachfragequellen.
- Stablecoin-Marktgröße und -Flows: Sie sind wichtige Liquiditäts-Brücken zwischen Fiat und Krypto.
Die Kombination dieser Indikatoren liefert ein aussagekräftigeres Bild als einzelne Metriken isoliert. In Kombination helfen sie, zwischen einer echten Trendwende und einer vorübergehenden Verteilungsphase zu unterscheiden.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Analogie zu einem IPO ist nützlich, da sie das strukturelle Bild einer Eigentumsverschiebung verdeutlicht — und damit ein Szenario skizziert, in dem kurzfristige Seitwärtsbewegungen und moderate Volatilität den Weg für eine stabilere, reifere Marktphase ebnen können. Geduld, diszipliniertes Risikomanagement und ein datengetriebener Beobachtungsansatz sind in diesem Umfeld besonders wertvoll.
Quelle: cointelegraph
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