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Innovative Retinaprothesen: Neue Hoffnung für Menschen mit Sehverlust

Innovative Retinaprothesen: Neue Hoffnung für Menschen mit Sehverlust

2025-06-12
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Sehverlust verstehen und Lösungen finden

Weltweit leiden Millionen Menschen an Sehverlust und Blindheit, die durch den Zerfall von Photorezeptorzellen in der Netzhaut verursacht werden. Diese spezialisierten Nervenzellen sind empfindlich für sichtbares Licht und spielen eine entscheidende Rolle bei der Umwandlung von Licht in elektrische Signale. Über den Sehnerv gelangen diese Signale ins Gehirn und ermöglichen das Sehen. Degenerieren Photorezeptoren aufgrund genetischer Defekte, Krankheiten oder Verletzungen, tritt häufig eine schwere Sehbehinderung oder völlige Blindheit ein. Die Entwicklung moderner Retinaprothesen gilt daher als zentrales Ziel der Forschung, um Betroffenen das Augenlicht wiederzugeben.

Retinaprothesen der nächsten Generation: Fortschritt über konventionelle Technologien hinaus

Forschende der Fudan-Universität in China haben kürzlich bahnbrechende Prototypen von Retinaprothesen vorgestellt, die einen bedeutenden Fortschritt im Bereich der Sehrestauration darstellen. Die neuen Implantate ersetzen nicht nur defekte Photorezeptorzellen, sondern verleihen Versuchstieren – insbesondere Mäusen und Makaken – die Fähigkeit, auch infrarotes Licht wahrzunehmen und ihr Sehvermögen jenseits des natürlichen Spektrums zu erweitern. Damit übertreffen diese innovativen Retinaprothesen ältere Modelle, die oft durch sperrige externe Technik und eingeschränkte Funktionalität limitiert waren.

Beschränkungen früherer Retinaprothesen

Konventionelle Retinaprothesen setzten meist auf Elektrodenfelder, die verbliebene Nervenzellen elektrisch stimulieren, um verlorene Photorezeptoren zu ersetzen. Anwender:innen solcher Systeme mussten spezielle Brillen mit Kamera tragen, welche Bildinformationen auf das Implantat übertragen. Trotz teilweiser Wiederherstellung des Sehens waren diese Geräte umständlich, auf eine externe Energiequelle angewiesen, hatten eine geringe Auflösung und erforderten sehr invasive Eingriffe. Viele Systeme wurden daher später aus der klinischen Praxis genommen.

Innovation durch photovoltaische Materialien

Auf der Suche nach einer nahtloseren und effektiveren Lösung analysierte das Team der Fudan-Universität verschiedene Materialien im Detail. Ziel war ein Material, das ohne externe Stromversorgung durch Licht einen elektrischen Strom erzeugt. Die Wahl fiel auf Tellur, ein seltenes Element mit einzigartigen metallischen und nichtmetallischen Eigenschaften. Für ihre Retinaprothesen fertigten die Forschenden ein feines Netz aus Tellur-Nanodrähten. Dank der Photovoltaik-Technologie wandelt das Implantat sowohl sichtbares als auch nahes Infrarotlicht direkt in neuronale Signale um.

Experimentelle Meilensteine: Sehwiederherstellung und Sehverbesserung bei Tiermodellen

Die Tellur-Nanodraht-Netz-Implantate wurden zunächst an genetisch veränderten Mäusen getestet, die bereits kurz nach der Geburt erblindeten. Die Implantate wurden präzise zwischen der defekten Photorezeptorschicht und dem retinalen Pigmentepithel positioniert, was eine effektive neuronale Integration ermöglichte. Umfassende biokompatible Untersuchungen zeigten, dass keine signifikanten Immunreaktionen oder Abstoßungen auftraten.

Verhaltensbasierte Tests und Nachweis der Sehrestauration

Zur Bewertung des Behandlungserfolgs wurden die Mäuse diversen visuellen Aufgaben unterzogen. Erste Reflex-Tests – zum Beispiel die Beobachtung der Pupillenreaktion auf Licht – zeigten ermutigende Ergebnisse: Erblindete Mäuse mit Implantat wiesen ähnliche Pupillenreaktionen wie gesunde Tiere auf. In komplexeren Verhaltenstests wurden die Mäuse in einem hell erleuchteten Käfig darauf trainiert, Wasserbelohnungen gezielt bei wechselnder Lichtumgebung zu finden. Die behandelten Tiere erreichten Erfolgsraten über 85 % und näherten sich damit den Werten gesunder Kontrolltiere (98 %) deutlich an, während unbehandelte blinde Mäuse weit zurücklagen.

Infrarotsicht: Erweiterung des Sensorspektrums

Eine der bemerkenswertesten Entdeckungen war die Fähigkeit der implantierten Mäuse, auf infrarotes Licht – für Mensch und Nagetier unsichtbar – zu reagieren. Bei Versuchen unter Infrarotlicht konnten die Kontrolltiere Aufgaben nicht über Zufallsniveau lösen, wohingegen die implantierten Mäuse hohe Erfolgsraten erzielten. Weitere Tests bewiesen, dass diese Mäuse Infrarotquellen präzise lokalisieren und unterschiedliche geometrische Muster unterscheiden konnten, was auf echte funktionale Infrarotsicht hindeutet.

Studien an Primaten und Potenzial für die klinische Anwendung

Um die Übertragbarkeit auf den Menschen zu prüfen, testeten die Forschenden ihre Tellur-Implantate an gesunden Makaken, deren Netzhaut der des Menschen sehr ähnlich ist. Die Tiere zeigten eine Wahrnehmung von Infrarotstrahlung ohne erkennbare Einschränkung ihres normalen Sehvermögens – ein wichtiger Hinweis für spätere Humananwendungen.

Entscheidende Herausforderungen: Empfindlichkeit, Anpassung und Operationsrisiken

Trotz dieser Durchbrüche bestehen noch einige Herausforderungen. Wie das Fudan-Team betont, ist die Lichtempfindlichkeit der Tellur-Nanodraht-Netze bislang geringer als die natürlicher Photorezeptoren, was die Sehqualität begrenzt. Zusätzlich ist auch die subjektive Wahrnehmung des künstlichen Sehens bei Tieren schwer abschließend zu beurteilen: Verhaltenstests liefern zwar Hinweise, die individuelle Seherfahrung bleibt aber offen.

Die Mäuse benötigten darüber hinaus eine Eingewöhnungszeit, um die neuen Signale zu interpretieren – ähnlich wie Patient:innen mit herkömmlichen Retinaprothesen. Die Experimente nutzten laserprojizierte Reize, weshalb noch unklar ist, wie das Implantat unter natürlichen Lichtbedingungen funktioniert.

Risiken bei der Implantation

Das chirurgische Einsetzen der Tellur-Netze bleibt risikobehaftet, da dafür die Netzhaut lokal angehoben und kleine Schnitte gesetzt werden müssen – vor allem bei vorgeschädigten Augen besteht dabei die Gefahr von Narbenbildung und Fibrose. Der spanische Bioingenieur Eduardo Fernández bewertet diese potenziellen Komplikationen zwar kritisch, bezeichnete den Ansatz der Fudan-Forschenden jedoch als „vielversprechend“ für die bionische Augenheilkunde. Laufende Untersuchungen in Fudan konzentrieren sich nun auf die Langzeit-Sicherheit an nicht-menschlichen Primaten und die Optimierung der Schnittstelle zwischen Implantat und Netzhautgewebe.

Ausblick: Zukunftsperspektiven für bionisches und erweitertes Sehen

Der Einsatz fortschrittlicher Materialien wie Tellur-Nanodrähte in Retinaprothesen könnte Ansätze zur Behandlung von Blindheit grundlegend verändern. Durch den photovoltaischen Effekt bieten solche Implantate langfristig nicht nur die Aussicht auf wiederhergestelltes Sehen bei degenerativen Netzhauterkrankungen, sondern auch auf ein erweitertes Sehvermögen – etwa für infrarotes Licht, ein für Menschen bislang unbekannter Sinnesbereich. Bis zu einer klinisch anwendbaren Technologie wird es zwar noch Jahre brauchen, doch laufende Forschung adressiert zentrale Herausforderungen wie Empfindlichkeit, chirurgische Sicherheit und Anpassungsfähigkeit der Patienten.

Fazit

Die innovativen Retinaprothesen der Fudan-Universität markieren einen bedeutenden Fortschritt in der Technologie zur Wiederherstellung des Sehens. Die erfolgreiche Rückgewinnung des Sehvermögens und die zusätzlich erreichte Infrarotsensitivität bei blinden und sehenden Tiermodellen unterstreichen das transformative Potenzial der nächsten Generation bionischer Augensysteme. Trotz verbleibender Hürden in Bezug auf Empfindlichkeit und Operationsrisiken verspricht der anhaltende Fortschritt eine Zukunft, in der bahnbrechende Netzhautimplantate das Sehen wiederherstellen und neue Sinneswelten für Patienten weltweit erschließen könnten.

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