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Die Entdeckung des Rio Grande Rise: Eine prähistorische Insel unter dem Atlantik
Tief unter der Oberfläche des Atlantischen Ozeans, etwa 1.200 Kilometer vor der Küste Brasiliens, haben Forscher eine Entdeckung gemacht, die weltweit sowohl die Wissenschaft als auch Industrieunternehmen für seltene Erden fasziniert. Das sogenannte Rio Grande Rise ist ein unterseeisches Plateau, das nun eindeutige Hinweise liefert, einst eine tropische Insel gewesen zu sein – reich an wertvollen seltenen Erden und strategischen Rohstoffen, die für moderne Technologien unverzichtbar sind.
Geologischer Hintergrund: Von vulkanischer Kette zur verborgenen Insel
Der Rio Grande Rise entstand vor etwa 80 Millionen Jahren im späten Jura infolge intensiver vulkanischer Aktivität und bildet heute eine Kette unterseeischer Vulkanberge. Im Laufe der Erdgeschichte drückten Verschiebungen der Erdplatten und das hohe Gewicht des vulkanischen Gesteins das Plateau unter den Meeresspiegel. Für Geologen und Meeresforscher war das Gebiet gut dokumentiert, doch neueste Forschungen bringen ständig überraschende Erkenntnisse zutage – etwa seine Vergangenheit als Insel und einen Schatz an begehrten seltenen Mineralien.
Der Durchbruch 2018: Hinweise in den Sedimenten der Tiefsee
Die Forschungsrichtung änderte sich 2018: Ein Team brasilianischer und britischer Wissenschaftler entdeckte ungewöhnliche Felsformationen im westlichen Bereich des Rio Grande Rise. Diese Formationen zeigten Schichten aus Lava und auffälligen Bändern aus rotem Ton – Bodentypen, die eher von Landmassen bekannt sind, als vom Meeresgrund. Dr. Bramley Murton, Meeresgeologe am britischen National Oceanography Centre, erklärte: „Roter Ton auf dem Meeresboden ist eine Seltenheit und sieht aus wie tropische Böden.“
Roter Ton und Eozän-Ursprünge: Indizien einer verlorenen Insel
2023 veröffentlichte die Zeitschrift Scientific Reports neue, stichhaltige Beweise: Teile des Rio Grande Rise waren während des Eozäns vor etwa 44–47 Millionen Jahren tatsächlich über dem Meeresspiegel exponiert. Die Entdeckung von rotem Ton zwischen alten Lavaströmen galt als Hauptnachweis. Roter Ton entsteht typischerweise in heißen, feuchten Klimazonen und deutet auf üppige Vegetation sowie Leben an Land hin – bevor das Plateau durch geologische Prozesse im Meer versank.
Dr. Priyeshu Srivastava vom Indian Institute of Geomagnetism beschreibt: „Man muss sich eine tropische Insel vorstellen, die untergeht und im Ozean erhalten bleibt. Das haben wir hier gefunden.“ Die Zusammensetzung des roten Tons – reich an Kaolinit, Hämatit und Goethit – ähnelt den heutigen Böden Brasiliens. Dr. Luigi Jovane von der Universität São Paulo betont: „Diese roten Tone sind chemisch und mineralogisch identisch mit der ‚terra roxa‘ Brasiliens.“
Klimaspuren und geologische Bedeutung
Ein hoher chemischer Verwitterungsindex (CIA-Wert von 93) der Proben belegt, dass das Areal über Millionen Jahre an der Luft extremen Wetterungsprozessen ausgesetzt war. Dr. Srivastava erläutert: „Die roten Tone konnten sich nur durch intensive Verwitterung während der subaerischen Phase des Rio Grande Rise entwickeln.“ Diese Ergebnisse eröffnen neue Einblicke in das Paläoklima und die biologische Geschichte des Atlantiks – sogar Vogelwanderungen zwischen Südamerika und Afrika über die einstige Insel werden diskutiert.
Strategische Bedeutung: Seltene Erden und globale Lieferketten
Neben seinen geologischen und klimatischen Erkenntnissen gewinnt das Rio Grande Rise vor allem aufgrund seiner Rohstoffvorkommen zunehmend an Bedeutung: In den Ferromangan-Krusten des Plateaus konzentrieren sich hohe Anteile der wirtschaftlich relevanten Metalle wie Kobalt, Nickel und Lithium – Schlüsselsubstanzen für die Produktion moderner Lithium-Ionen-Akkus, Energiespeichersysteme sowie Komponenten für Windkraft- und Solartechnologien. Diese Ressourcen sind essenziell für die Energiewende und nachhaltige Technologien.
Bemerkenswert ist der außergewöhnliche Reichtum an seltenen Erden wie Yttrium – ein weiches, silberglänzendes Metall, das in Luft- und Raumfahrt, Lasertechnik, LEDs, Supraleitern und hochmoderner Optik eine Schlüsselrolle spielt. Während etliche Staaten sich stabile Bezugsquellen für seltene Erden sichern möchten, rückt das Rio Grande Rise als mögliche Alternative verstärkt in den Fokus.
Geopolitische Unsicherheiten und Kontinentalansprüche
Die Entdeckung wirft jedoch komplexe Fragen zur Rechtslage auf. Da das Rio Grande Rise in internationalen Gewässern liegt – außerhalb der 200-Seemeilen-Zone laut UN-Seerechtsübereinkommen – kann kein Staat unangefochten auf die Rohstoffe zugreifen. Dr. Jovane merkt an: „Die ehemalige Insel könnte die Verbindung zum Kontinent zeigen“ – eine Chance für Brasilien, territoriale Ansprüche anhand neuer geologischer Daten zu untermauern.
Die brasilianische Regierung möchte ihren Rechtsanspruch auf das Plateau stärken, um sowohl ökonomische Interessen zu sichern als auch Naturschutz und nachhaltige Nutzung der Ressourcen zu gewährleisten. Gleichzeitig könnten solche Ansprüche internationale Forschung und Bemühungen um den Schutz der Tiefsee erschweren.
Der Wettlauf um seltene Erden und globale Technologieketten
Die strategische Bedeutung seltener Erden ist heute größer denn je. Zahlreiche Schlüsselindustrien – darunter Verteidigung, erneuerbare Energien und Elektronik – sind auf sichere und nachhaltige Rohstoffquellen angewiesen. Da China aktuell rund 70 Prozent des Abbaus, über 85 Prozent der Raffinierung und etwa 90 Prozent der Weiterverarbeitung von seltenen Erden dominiert, beobachtet die Welt neue Vorkommen wie im Rio Grande Rise mit besonderer Aufmerksamkeit.
Im April verschärften sich die Spannungen, als China zusätzliche Exportbeschränkungen für verschiedene seltene Erden, darunter Yttrium, ankündigte. Die globale Versorgungslage verschärft sich, wodurch alternative Quellen wie das Rio Grande Rise und deren rechtliche wie ökologische Erschließung zunehmend in den Mittelpunkt rücken.
Fazit
Die zufällige Entdeckung einer uralten Insel unter dem Atlantik verändert unser Wissen über die Erdgeschichte und wirft neue Fragen für internationale Rechtsordnung und Versorgungssicherheit moderner Technologien auf. Das Rio Grande Rise – einst ein tropisches Eiland und heute ein Magazin kritischer Rohstoffe – steht exemplarisch für die Chancen und Herausforderungen moderner Meeresforschung. Im globalen Wettlauf um seltene Erden wird es entscheidend sein, wirtschaftliche Interessen verantwortungsvoll mit Umwelt- und Artenschutz in Einklang zu bringen. Obwohl Chinas Einfluss auf dem Weltmarkt für seltene Erden noch anhält, könnten Entdeckungen wie diese das Gleichgewicht der globalen Rohstoffversorgung in Zukunft wesentlich verändern.
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