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Ein innovativer Weg in der Behandlung von Alzheimer und Demenz
Bahnbrechende wissenschaftliche Forschung eröffnet vielversprechende Perspektiven im Kampf gegen Alzheimer und altersbedingten kognitiven Abbau. Eine Studie von Forschern der Bundesuniversität Rio de Janeiro (UFRJ) und der Universität São Paulo in Brasilien hat das Protein Hevin (auch bekannt als SPARCL-1) als Schlüsselfaktor zur Vorbeugung von Gedächtnisverlust und zur Förderung der Gehirngesundheit bei Mäusen identifiziert — eine Entdeckung mit weitreichenden Folgen für die Alzheimer-Forschung und die Behandlung neurodegenerativer Erkrankungen.
Die Funktion von Hevin und Astrozyten im Gehirn
Hevin wird von Astrozyten produziert, spezialisierten Unterstützungszellen im zentralen Nervensystem. Im Gegensatz zu Neuronen, die elektrische Signale weiterleiten, sorgen Astrozyten für den Erhalt und die Pflege der Synapsen – jener entscheidenden Verbindungen, die die Kommunikation zwischen Nervenzellen ermöglichen. Diese Synapsen sind unerlässlich für Gedächtnisleistungen und Lernprozesse, die bei Alzheimer und anderen Demenzerkrankungen erheblich beeinträchtigt werden.
Neurobiologin Flávia Alcantara Gomes von der UFRJ betont: „Hevin ist ein bekanntes Molekül, das wesentlich an der neuronalen Plastizität beteiligt ist.“ Dieser Begriff bezeichnet die Fähigkeit des Gehirns, sich durch neue neuronale Verknüpfungen anzupassen und zu lernen – ein zentraler Mechanismus für Gedächtnisbildung.
Experimentelle Ergebnisse: Hevin-Überexpression bei Mäusen
Im Rahmen der Studie wurde die Hevin-Produktion im Gehirn sowohl gesunder als auch für Alzheimer-Symptome prädisponierter Mäuse gezielt gesteigert. Über einen Zeitraum von sechs Monaten zeigten diese Mäuse deutlich bessere Gedächtnis- und Lernfähigkeiten als unbehandelte Vergleichstiere. Bildgebende Verfahren belegten, dass ein Hevin-Anstieg die Kommunikation an den Synapsen verbesserte – ein Hinweis auf eine effizientere neuronale Funktion.
Die Auswertung der behandelten Mäusegehirne ergab außerdem, dass höhere Hevin-Werte die Produktion weiterer Proteine förderten, die für gesunde Synapsen wichtig sind. Hevin scheint somit mit anderen Molekülen zusammenzuwirken, um die neuronale Konnektivität zu stärken und der kognitiven Verschlechterung entgegenzuwirken.
Weitreichende Bedeutung: Neue Erklärungsansätze für Alzheimer
Um die Relevanz dieser Entdeckung zu erfassen, analysierte das Forschungsteam öffentliche Gehirndaten von Alzheimer-Patienten. Dabei zeigte sich, dass bei Erkrankten die Hevin-Spiegel oft niedriger waren als bei gesunden Personen. Dies unterstreicht die These, dass die Gesundheit der Astrozyten und die Hevin-Produktion maßgeblich zur kognitiven Widerstandsfähigkeit beitragen.
Gomes betont: „Wir verschieben den Fokus von den Neuronen hin zur Schlüsselfunktion der Astrozyten und schaffen damit neue Möglichkeiten für Therapieansätze bei Alzheimer und anderen kognitiven Störungen.“

Herausforderung für gängige Alzheimer-Theorien: Beta-Amyloid-Plaques vs. synaptische Gesundheit
Bisherige Alzheimer-Therapien zielen meist darauf ab, toxische Beta-Amyloid-Plaques im Gehirn zu entfernen oder zu reduzieren. Die aktuelle Studie zeigte jedoch, dass eine erhöhte Hevin-Menge keinen Einfluss auf die Bildung dieser Plaques hatte. Dies steht im Einklang mit neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, nach denen Beta-Amyloid-Ablagerungen möglicherweise nicht der unmittelbare Auslöser der Alzheimer-Krankheit sind.
Felipe Cabral-Miranda, Biomediziner an der UFRJ, erklärt: „Unsere Ergebnisse unterstützen die Annahme, dass Plaques zwar eine Rolle im Krankheitsverlauf spielen, aber allein nicht ausreichend sind, um Alzheimer auszulösen.“ Vielmehr könnten synaptisches Versagen und Störungen der Zellkommunikation eine entscheidendere Rolle für die Symptomatik spielen.
Zukunftsaussichten und wissenschaftlicher Stellenwert
Auch wenn der Weg von Laborergebnissen zu sicheren, wirksamen Therapien für den Menschen komplex ist, markiert die Entdeckung der schützenden Eigenschaften von Hevin einen wichtigen Fortschritt. Arzneimittel, die die Funktion von Hevin imitieren, könnten künftig bestehende Behandlungsmöglichkeiten bei Demenz sinnvoll ergänzen oder verbessern.
Das zentrale Verdienst dieser Forschung ist ein tieferes Verständnis der zellulären und molekularen Grundlagen von Alzheimer. Diese Erkenntnisse ebnen den Weg für umfassendere, auf mehrere Ziele ausgerichtete Therapieansätze bei altersbedingten Hirnerkrankungen.
Fazit
Die Identifikation von Hevin als Molekül zur Förderung kognitiver Fähigkeiten und zum Schutz vor Synapsenabbau bei Mäusen eröffnet der Alzheimer- und Demenzforschung neue Perspektiven. Indem die bislang oft unterschätzte Rolle der Astrozyten und der synaptischen Gesundheit stärker in den Fokus rückt, erweitert sich das Spektrum zukünftiger Therapieoptionen. Zwar ist die klinische Anwendung noch Zukunftsmusik, doch könnten diese Erkenntnisse langfristig dazu beitragen, wirksame Behandlungen für Millionen von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen weltweit zu entwickeln.
Die Studie wurde veröffentlicht in Aging Cell.
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