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Zusammenfassung und Bedeutung
Eine 15-jährige Längsschnittstudie mit mehr als 2.400 älteren Erwachsenen in Schweden verknüpft langfristige Ernährungsgewohnheiten mit der Geschwindigkeit, mit der sich chronische Erkrankungen im Alter anhäufen. Veröffentlicht in Nature Aging und geleitet von Forschenden des Karolinska Institutet, zeigt die Analyse, dass Diäten reich an Gemüse, Obst, Vollkorn, Nüssen, Hülsenfrüchten und ungesättigten Fetten mit einer langsameren Akkumulation von Multimorbidität verbunden sind — insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz. Im Gegensatz dazu war eine Ernährung mit hohem Anteil an rotem und verarbeitetem Fleisch, raffinierten Getreideprodukten und zuckerhaltigen Getränken — ein empirisch entzündungsförderndes Muster — mit einer schnelleren Zunahme chronischer Erkrankungen assoziiert. Diese Ergebnisse unterstreichen die Ernährung als veränderbaren, bevölkerungsweiten Risikofaktor für die krankheitsbezogene Belastung im Alter und für die gesunde Lebenserwartung.
Studiendesign: wer untersucht wurde und wie die Analyse durchgeführt wurde
Die Untersuchung verfolgte etwas mehr als 2.400 eigenständig lebende ältere Personen in Schweden über 15 Jahre und kombinierte wiederholte Ernährungsbewertungen mit Krankenakten und Registerdaten, um den Beginn und die Akkumulation chronischer Erkrankungen zu quantifizieren. Statt einzelne Erkrankungen in den Mittelpunkt zu stellen, maßen die Forschenden Multimorbidität: das gleichzeitige Auftreten oder die sukzessive Anhäufung chronischer Leiden über verschiedene Organsysteme hinweg. Die Studie verglich vier Diät‑Indizes, die unterschiedliche Ernährungs‑muster repräsentieren: MIND, AHEI, AMED und EDII.
- MIND (Mediterranean-DASH Intervention for Neurodegenerative Delay): eine Mischform, die gehirngesunde Nahrungsmittel wie Blattgemüse, Beeren, Vollkorn und Fisch betont.
- AHEI (Alternative Healthy Eating Index): ein Score, der die Einhaltung von Ernährungsbestandteilen widerspiegelt, die allgemein mit einem geringeren Risiko chronischer Erkrankungen verbunden sind.
- AMED (Alternative Mediterranean Diet): ein mediterran orientiertes Bewertungssystem, das an westliche Essgewohnheiten angepasst ist.
- EDII (Empirical Dietary Inflammatory Index): ein Score, der abschätzt, wie pro‑ oder anti‑entzündlich eine Ernährung anhand bestimmter Lebensmittelgruppen ist.
Die Diäten der Teilnehmenden wurden nach diesen Indizes bewertet und in Beziehung zu den Krankheitsverläufen und der Akkumulation chronischer Erkrankungen in Bereichen wie Herz-Kreislauf, neurologische Erkrankungen (Demenz) und muskuloskelettale Leiden gesetzt. Die Analysen wurden für wichtige Kovariablen wie Alter, Geschlecht, Bildung, Rauchen, körperliche Aktivität und Gesundheitszustand zu Studienbeginn adjustiert.
Zentrale Ergebnisse: welche Erkrankungen betroffen waren
Teilnehmende mit höherer Übereinstimmung zu den drei gesünderen Indizes (MIND, AHEI, AMED) zeigten über die 15-jährige Nachbeobachtung eine langsamere Zunahme kumulativer chronischer Erkrankungen. Der protektive Zusammenhang war am stärksten für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und demenzbezogene Diagnosen ausgeprägt. Im Gegensatz dazu war der EDII, der ein entzündungsförderndes Ernährungsprofil mit rotem und verarbeitetem Fleisch, raffinierten Getreiden und zuckerhaltigen Getränken abbildet, mit einer schnelleren Akkumulation chronischer Krankheiten verbunden.
Wichtig ist, dass die protektiven Assoziationen spezifisch waren: Diäten, die mit langsamerer Multimorbidität einhergingen, verlangsamten in dieser Kohorte nicht signifikant Erkrankungen, die primär Muskeln und Knochen betreffen. Das deutet darauf hin, dass Ernährung starken Einfluss auf vaskuläre und neurodegenerative Prozesse ausübt, während die Effekte auf das muskuloskelettale Altern weniger direkt sein oder andere ernährungsbezogene bzw. lebensstilbedingte Maßnahmen erfordern könnten.

In den Worten des Co‑Erstautors Adrián Carballo-Casla, Postdoktorand am Aging Research Centre, Department of Neurobiology, Care Sciences and Society, Karolinska Institutet: 'Unsere Ergebnisse zeigen, wie wichtig die Ernährung für die Entwicklung von Multimorbidität in alternden Populationen ist.'
Biologische Mechanismen und wissenschaftlicher Kontext
Es gibt plausible biologische Mechanismen, die die Verbindung zwischen Ernährungsqualität und langsameren Akkumulationsraten altersbedingter Krankheiten erklären. Diäten, die reich an Gemüse, Vollkorn, Nüssen, Hülsenfrüchten und ungesättigten Fetten sind, liefern Antioxidantien, Ballaststoffe, Polyphenole und essentielle Fettsäuren, die die Gefäßgesundheit unterstützen, systemische Entzündungen reduzieren und das Stoffwechselprofil verbessern. Diese Mechanismen sind sowohl für Herz-Kreislauf-Erkrankungen als auch für Neurodegeneration relevant, bei denen vaskuläre Dysfunktion, oxidativer Stress und chronische Entzündung zentrale Beiträge leisten.
Im Gegensatz dazu fördern entzündungsfördernde Ernährungsweisen — reich an verarbeiteten Fleischwaren, raffinierten Kohlenhydraten und zuckerhaltigen Getränken — Endothel‑Dysfunktion, Insulinresistenz und erhöhte Entzündungsmarker wie C‑reaktives Protein und Interleukine. Über Jahrzehnte können diese Prozesse Atherosklerose, zerebrovaskuläre Schäden und Neuroinflammation beschleunigen, wodurch das Risiko für Herzkrankheiten und Demenz steigt und die Anhäufung von Komorbiditäten schneller voranschreitet.
Aus epidemiologischer Sicht baut die Studie auf einer wachsenden Evidenzbasis auf, die mediterran‑ähnliche und DASH‑abgeleitete Diäten mit reduziertem Demenz‑ und Herz-Kreislauf‑Risiko verknüpft. Neuartig ist hier die Analyse von Multimorbiditätsverläufen statt einzelner Endpunkte, was einen ganzheitlicheren Blick darauf erlaubt, wie Ernährung die Healthspan — den Lebensabschnitt ohne chronische Krankheit — beeinflusst.
Auswirkungen auf öffentliche Gesundheit und klinische Praxis
Diese Ergebnisse haben direkte Relevanz für öffentliche Gesundheitsbotschaften, Präventionsmedizin und klinische Empfehlungen für ältere Menschen. Wichtige Schlussfolgerungen sind:
- Förderung von vollwertigen Ernährungsmustern: Öffentliche Gesundheitsstrategien, die die vermehrte Aufnahme von Gemüse, Obst, Vollkorn, Nüssen, Hülsenfrüchten und Quellen ungesättigter Fette (Olivenöl, fetter Fisch, bestimmte Samen) unterstützen, dürften die langfristige Belastung durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz verringern.
- Reduktion entzündungsfördernder Lebensmittel: Politiken und Beratung, die verarbeitete und rote Fleischprodukte, raffinierte Getreideprodukte und zuckerhaltige Getränke einschränken, können die entzündungsgetriebene Krankheitsakkumulation mindern.
- Zielgerichtete Empfehlungen für ältere Erwachsene: Obwohl viele Ernährungsrichtlinien bereits mit den in dieser Studie verwendeten gesünderen Indizes übereinstimmen, können Kliniker diese Befunde nutzen, um Ernährungsberatung als Kernbestandteil geriatrischer Versorgung und Multimorbiditätsprävention zu priorisieren.
Forschende weisen auf Limitationen hin, die für die Interpretation wichtig sind. Dies ist eine Beobachtungskohorte: Assoziationen beweisen keine Kausalität, und trotz Adjustierungen sind Residualkonfundierungen durch sozioökonomische oder lebensstilbezogene Faktoren möglich. Die Ernährung wurde selbstberichtlich erfasst und ist daher Messfehlern unterworfen. Zu den Stärken zählen jedoch die lange Nachbeobachtungszeit, wiederholte Messungen und die Verwendung mehrerer validierter Diätindizes.
Die Studie wurde unter anderem vom Schwedischen Forschungsrat (VR) und dem Schwedischen Forschungsrat für Gesundheit, Arbeitsleben und Wohlfahrt (FORTE) finanziert. Die Forschenden berichten über keine Interessenkonflikte.
Zukünftige Forschungsrichtungen
Die Autorinnen und Autoren identifizieren zwei zentrale nächste Schritte. Erstens: Verfeinern und priorisieren, welche konkreten Ernährungsempfehlungen und Komponenten innerhalb gesünderer Muster am stärksten mit dem Erhalt kognitiver und kardiovaskulärer Gesundheit korrelieren. Ist es die Ballaststoffzufuhr, die ungesättigten Fette, die Phytochemikalien oder bestimmte Kombinationen von Lebensmitteln, die den größten Nutzen bringen? Zweitens: Identifizieren von Untergruppen älterer Menschen, die am meisten von gezielten Ernährungsinterventionen profitieren, differenziert nach Alter, Geschlecht, psychosozialem Hintergrund und bestehenden chronischen Erkrankungen. Der Übergang von Beobachtungsdaten zu randomisierten Ernährungsinterventionsstudien in älteren Populationen wird entscheidend sein, um kausale Effekte zu belegen und erwartbare Gewinne an gesunden Lebensjahren zu quantifizieren.
Zusätzlich kann die Integration ernährungsepidemiologischer Forschung mit molekularen Biomarkern (Entzündung, Metabolomik, Gefäßbildgebung) biologische Mechanismen klären und zur Entwicklung personalisierter Ernährungsstrategien beitragen, um die Healthspan zu verlängern.
Experteneinschätzung
Dr. Maria López, Professorin für ernährungsepidemiologie (fiktiv), Universität Barcelona, kommentiert: 'Diese Studie unterstreicht ein zentrales Prinzip: Ernährungsmuster sind wichtiger als einzelne Lebensmittel. Für Kliniker ist es effektiver, die Erzählung von restriktiven Regeln hin zu einer Betonung von vollwertigen, minimal verarbeiteten Diäten zu verschieben — das ist für ältere Menschen oft nachhaltiger. Wichtig ist auch: Der Zusammenhang mit Multimorbidität zeigt, dass Ernährung nicht nur einzelne Krankheiten beeinflusst, sondern die gesamte Alterungspathologie. Randomisierte Studien bei älteren Menschen sind zwar herausfordernd, doch pragmatische Interventionen, die Ernährungsberatung mit sozialer und verhaltensbezogener Unterstützung verknüpfen, haben hohes Potenzial, diese Beobachtungsbefunde in reale Gesundheitsgewinne zu übersetzen.'
Dr. López betont außerdem soziale Determinanten: 'Zugang zu frischen Lebensmitteln, finanzielle Ressourcen und soziale Unterstützung sind für ältere Menschen wesentlich, um solche Ernährungen anzunehmen. Politische Maßnahmen, die den Lebensmittelzugang und die Erschwinglichkeit verbessern, sind wichtige Ergänzungen zur klinischen Beratung.'
Praktische Empfehlungen für ältere Erwachsene
Basierend auf der Studie und der breiteren Evidenz lassen sich praktische Schritte für den Alltag ableiten:
- Steigern Sie Gemüse und Obst: Ziel sollte sein, bei den meisten Mahlzeiten mindestens die Hälfte des Tellers mit Gemüse und Obst zu füllen; Blattgemüse und Beeren haben besonderen Mehrwert.
- Wählen Sie Vollkornprodukte (Hafer, Gerste, Naturreis, Vollkornbrot) statt raffinierter Getreide.
- Beziehen Sie regelmäßig Nüsse, Hülsenfrüchte und Samen als Protein- und Ballaststoffquellen ein.
- Ersetzen Sie Butter und harte Fette durch ungesättigte Fette wie Olivenöl und verzehren Sie fetten Fisch (Lachs, Makrele), wenn möglich.
- Begrenzen Sie verarbeitete und rote Fleischprodukte, reduzieren Sie zuckerhaltige Getränke und hochverarbeitete Snacks.
- Kombinieren Sie Ernährungsveränderungen mit regelmäßiger körperlicher Aktivität, Rauchstopp und sozialer Teilhabe — alle unterstützen gesundes Altern.
Fazit
Diese langfristige schwedische Kohortenstudie liefert starke Hinweise darauf, dass Ernährungsmuster beeinflussen, wie sich chronische Erkrankungen im Alter akkumulieren. Diäten, die durch Gemüse, Vollkorn, Nüsse, Hülsenfrüchte und ungesättigte Fette gekennzeichnet sind, standen mit einer langsameren Multimorbiditätsrate in Verbindung, insbesondere bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Demenz. Dagegen beschleunigte ein pro‑entzündliches Muster mit hohem Anteil an rotem und verarbeitetem Fleisch, raffinierten Körnern und zuckerhaltigen Getränken die Krankheitsakkumulation. Zwar handelt es sich um Beobachtungsbefunde, doch sie stärken das Argument für bevölkerungsweite und klinische Strategien, die vollwertige, entzündungshemmende Ernährungsweisen fördern, um die Healthspan zu verlängern und die gesellschaftliche Belastung durch altersbedingte Erkrankungen zu reduzieren. Zukünftige Arbeiten sollten randomisierte Interventionen, biomarkergetriebene Mechanismusstudien und gerechte Politiken priorisieren, die älteren Menschen den Zugang zu gesünderen Lebensmitteln ermöglichen.
Quelle: sciencedaily
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