Platin-Spike im Grönlandeis: Vulkan statt Impakt – Evidenz

Platin-Spike im Grönlandeis: Vulkan statt Impakt – Evidenz

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Ein rätselhaftes chemisches Signal im grönländischen Eis

In einem Eisbohrkern aus Zentralgrönland wurde ein markanter, kurzlebiger Anstieg der Platingehalte entdeckt, datiert auf ungefähr 12.800 Jahre vor heute. Dieses chemische Signal hat bereits länger für Aufsehen gesorgt und diente einigen Forschern als forensisches Indiz für ein katastrophales extraterrestrisches Ereignis – etwa einen Meteor- oder Kometeneinschlag – das als Auslöser der abrupten Abkühlungsphase bekannt wurde, die als Younger Dryas bezeichnet wird. Neue geochemische Untersuchungen deuten jedoch auf eine weitaus weniger exotische Quelle hin: Vulkanismus, wahrscheinlich in Form von Spalteneruptionen oder submarinen Ausbrüchen im Nordatlantikraum, mit besonderer Relevanz für Island.

Der Fund eines Platinspikes in grönländischem Eis ist deshalb bemerkenswert, weil Platin und verwandte Edelmetalle in der Atmosphäre und auf der Erde sehr spezifische Herkunftssignaturen tragen. Die Art und Weise, wie solche Metalle in Aerosolen kondensieren, transportiert und schließlich in Eisschichten abgelagert werden, enthält Informationen über die Entstehungsprozesse und die Transportdistanz. Diese Signatur ist also mehr als ein bloßes Gehalt — sie ist ein Fingerabdruck, der Interpretation und Kontext erfordert.

Wissenschaftlicher Hintergrund und konkurrierende Hypothesen

Für den Auslöser des Younger Dryas konkurrieren im Wesentlichen zwei große Erklärungsklassen. Die länger akzeptierte Hypothese betont einen massiven Zufluss von Süßwasser aus schmelzenden nordamerikanischen Eisschilden, der die atlantische meridionale Umwälzzirkulation (AMOC) stören und dadurch den nach Norden transportierten Wärmetransport abschwächen könnte. Diese Störung hätte die Temperaturen der Nordhemisphäre rasch abfallen lassen und die Vegetations- sowie Niederschlagsmuster grundlegend verändern können.

Alternativ wurden scharfe, von außen forcierte Störungen diskutiert: Entweder ein extraterrestrischer Impakt, der Staub, Aerosole und Schmelzprodukte in die Atmosphäre einbrachte und so kurz- bis mittelfristig das Klima abschwächte, oder ein ungewöhnlich großer vulkanischer Ausbruch, der große Mengen Schwefel in die Stratosphäre schleuderte und hemisphärische bis planetare Abkühlung bewirken konnte. Beide Mechanismen können – je nach Intensität und Geographie – rasche und deutliche Klimaeffekte auslösen, doch sie hinterlassen unterschiedliche geochemische und sedimentäre Spuren.

Ein zentrales Argument für die Impakt-Hypothese war der 2013 berichtete Nachweis einer scharfen Platinanreicherung in einem von der Greenland Ice Sheet Project (GISP2) gewonnenen Eisbohrkern. Die chemische Fingerabdruck-Kombination – hohe Platingehalte bei gleichzeitig niedrigem Iridium-zu-Platin-Verhältnis – passte nicht sauber zu typischen Meteoritenkonfigurationen und entsprach auch nicht den erwarteten Signaturen gewöhnlicher vulkanischer Gesteine. Das führte einige Forscher zu der Annahme, dass ein untypischer, eisenreicher Impaktor die Abweichung erklären könnte.

Neue Analysen: Prüfung einer vulkanischen Herkunft

Um die vulkanische Alternative systematisch zu prüfen, sammelte ein Forscherteam 17 Bimsproben aus Ablagerungen der Laacher-See-Eruption in Deutschland. Dieses große vulkanische Ereignis liegt zeitlich nahe am Younger Dryas-Intervall und besitzt eine relativ ungewöhnliche geochemische Signatur, weshalb es als Kandidat in Betracht gezogen wurde. Die Wissenschaftler führten detaillierte Spurenelementanalysen durch, mit Schwerpunkt auf Platin und Iridium sowie anderen seltenen Metallen, um ein umfassendes Kompositionsprofil des Laacher-See-Auswurfmaterials zu erstellen.

Die Auswahl der Laacher-See-Proben erfolgte bewusst: Die Eruption ist gut datiert und reich an mikroskopischen Glasphasen, die Spuren von kondensierten gasförmigen Produkten enthalten können. Durch den Vergleich dieser Fingerabdrücke mit dem Ice-Core-Signal sollten Unstimmigkeiten oder Übereinstimmungen offenbart werden, die entweder die vulkanische Herkunft stützen oder gegen sie sprechen würden.

Probenahme und geochemische Methoden

Die analytische Arbeit stützte sich auf hochsensitiven Methoden, die in der Lage sind, Platin in Sub-ppm-Bereichen zu detektieren und gleichzeitig Iridium sowie andere chalcophile Elemente (schwefelaffine Elemente) zuverlässig zu quantifizieren. Typische Techniken umfassten induktiv gekoppelte Plasma-Massenspektrometrie (ICP-MS) mit präkonzentration, sektorfeldbasierte Massenspektrometer für hohe Auflösung und strikte Kontaminationskontrollen während der Probenvorbereitung. Zusätzlich wurden die Eisbohrkern-Chronologien erneut geprüft und wo möglich mit anderen Datierungen wie Jahrringanalyse, tephrochronologischen Markern und Radiokohlenstoffkalibrierungen abgeglichen, um die zeitliche Beziehung zwischen dem Platinspike und dem Beginn der Younger-Dryas-Abkühlung schärfer zu fassen.

Die Ergebnisse waren eindeutig: Die Laacher-See-Bimse wiesen praktisch kein nachweisbares Platin auf; die gemessenen Konzentrationen lagen an oder unterhalb der analytischen Nachweisgrenzen. Damit erscheint die Laacher-See-Eruption als direkter Quelle für die grönländische Platin-Anomalie sehr unwahrscheinlich. Darüber hinaus zeigten die aktualisierten Eiskernaltersmodelle, dass der Platinspike etwa 45 Jahre nach dem dokumentierten Beginn der Younger-Dryas-Abkühlung einsetzte – eine zeitliche Verschiebung, die es nahezu ausschließt, dass der Spike der primäre Auslöser dieser abrupten Klimaschwankung war.

Hinweise deuten auf isländische Spalteneruptionen oder submarinen Vulkanismus

Wenn die Laacher-See-Eruption als Quelle ausscheidet, stellt sich die Frage: Welche vulkanischen Prozesse können einen kurzzeitigen, jedoch deutlich sichtbaren Platinspike in grönländischem Eis erzeugen und zugleich ein ungewöhnliches Iridium-zu-Platin-Verhältnis hervorbringen? Vergleichende Analysen ergaben, dass die beste geochemische Übereinstimmung zwischen der Eis-Fingerabdruck-Signatur und Kondensaten aus vulkanischen Gasen besteht, die mit Wasser interagiert haben – insbesondere bei submarine oder subglaziale Eruptionen.

Icelandische Vulkanlandschaften sind in diesem Kontext besonders relevant. Während der Entlastung der Kruste im Zuge der Entlassung großer Eismassen kann in Island die Schmelzproduktion zunehmen und lang andauernde Spalteneruptionen auslösen. Solche Spaltensysteme können über Jahre bis Jahrzehnte aktiv bleiben, was zeitlich mit der etwa 14 Jahre andauernden Platin-Anomalie im Eis vergleichbar ist. Wenn Eruptionen unter Wasser oder unter Gletschereis stattfinden, führen Wechselwirkungen zwischen Meerwasser bzw. Schmelzwasser und Magma dazu, dass Schwefel aus den Gasphasen entfernt wird und sich bestimmte Metalle in Kondensaten und feinen Aerosolen anreichern. Diese metallreichen vulkanischen Gase und feinen Partikel können in die Atmosphäre gehoben und über weite Strecken transportiert werden, bevor sie auf der grönländischen Eisschicht niedergehen.

Mechanistisch ist das plausibel: Wasser-Magma-Interaktionen verändern die Chemie der gasförmigen Phase, beeinflussen die Sättigungskonditionen und fördern die Bildung von feinen, oft metallreichen Kondensatpartikeln. Je feiner die Partikel, desto länger bleiben sie in der Atmosphäre und desto weiter können sie tranportiert werden. Falls ein signifikanter Anteil dieser Metalle in subglazialen oder submarine gebildeten Aerosolen vorkommt, wäre eine Ablagerung auf dem Grönlandeis durch atmosphärischen Ferntransport erklärbar.

Historische Präzedenzfälle unterstützen diese Mechanismen. Untersuchungen zur Katla-Eruption im 8. Jahrhundert zeigen einen 12-jährigen Anstieg schwerer Metalle wie Bismut und Thallium in grönländischen Eisbohrkernen, und die Eldgjá-Eruption im 10. Jahrhundert hinterließ einen Kadmium-Anomalie in glazialen Aufzeichnungen. Obwohl diese Studien Platin nicht explizit gemessen haben, zeigen sie klar, dass isländische Eruptionen episodische Pulsschläge schwerer Metalle bis nach Grönland liefern können. Solche Beispiele dienen als Analogie für den jüngeren, stark fokussierten Platinspike.

Die vulkanische Kondensat-Hypothese erklärt außerdem das ungewöhnliche Iridium-zu-Platin-Verhältnis: Meerwasser und Wasser–Magma-Wechselwirkungen können die Aufspaltung (Partitionierung) chalcophiler Elemente in die flüchtigen Phasen verändern und so eine Zusammensetzung hervorbringen, die sich deutlich von sowohl typischen subaerialen Vulkanprodukten als auch gewöhnlichen Meteoriten unterscheidet.

Darüber hinaus sind atmosphärische Transportmodelle konsistent mit der Idee, dass feinste vulkanische Partikel aus dem Nordatlantikbereich in Tagen bis wenigen Wochen nach der Emission Grönland erreichen können, besonders wenn Stratosphäreneingriffe vorliegen. Die Kombination aus Emissionsort, Partikelgröße, Emissionsintensität und vorherrschenden Windmustern bestimmt, ob und wie stark eine Signalspur in den grönländischen Eisablagerungen hinterlassen wird.

Folgen für die Debatte um den Younger-Dryas-Auslöser

Weil der Platinspike einige Jahrzehnte nach dem initialen Abkühlungsbeginn des Younger Dryas auftrat, ist es unwahrscheinlich, dass er selbst der kausale Mechanismus für die auslösende Klimaverschiebung war. Dennoch zeigen unabhängige Eisbohrkern-Daten ein großes schwefelreiches vulkanisches Signal genau zum Beginn des Younger Dryas (um ca. 12.870 Jahre vor heute), was mit einer Injektion von stratosphärischem Sulfat vereinbar ist, die kurzfristige globale Abkühlung hervorrufen kann. Ein größerer Ausbruch — sei es von der Laacher-See-Region, einem bisher nicht identifizierten Vulkan auf der Nordhemisphäre oder von einer Reihe hoch-latitudinaler Eruptionen — könnte die zusätzliche Strahlungsantrieb-Änderung geliefert haben, die ein ohnehin empfindliches Klimasystem in Richtung einer kälteren Phase kippen ließ.

Vulkanische Aerosole reduzieren die eingehende Sonnenstrahlung, fördern die Ausdehnung von Meereis, verändern atmosphärische Zirkulationsmuster und stören den Wärmeaustausch zwischen Ozean und Atmosphäre. Diese Kaskadeneffekte können, wenn sie auf ein Klima treffen, das zwischen glazialen und interglazialen Zuständen steht, einen einmaligen vulkanischen Impuls in ein anhaltendes Kaltintervall verstärken. Deshalb bleibt Vulkanismus eine überzeugende, erklärungsstarke Hypothese — auch wenn die neuen Befunde die auf dem Platinspike basierende extraterrestrische Interpretation schwächen.

Wichtig ist: Diese neuen Ergebnisse widerlegen nicht notwendigerweise sämtliches angebliches Impaktmaterial; weitere Behauptungen über Impakte, etwa anhand von Sphärolithen, Mikrosphären oder sogenannten "black mats" (charakteristischen organischen Schichten), sind weiterhin Teil der Debatte. Eine umfassende Rekonstruktion der Ursachen des Younger Dryas wird wahrscheinlich mehrere Beweislinien integrieren müssen — geochemische, sedimentäre und paläoökologische Daten aus unterschiedlichen Regionen — um ein kohärentes Bild der Abläufe zu liefern.

Fachliche Einschätzung

"Diese Studie macht deutlich, wie komplex Signaturen im geologischen Archiv interpretiert werden können", sagte Dr. Laura Hayes, Vulkanologin und Paläoklimatologin. "Hochpräzise Spurenelementanalysen und verfeinerte Eisbohrkern-Chronologien sind grundlegend, um zwischen einem exotischen Impaktor und terrestrischen vulkanischen Prozessen zu unterscheiden. Isländische Spalteneruptionen und submarine Ausbrüche sind glaubwürdige Quellen für kurzlebige Metallanomalien in Grönlandeis — und sie erinnern uns daran, dass Vulkanismus, wenn Zeitpunkt und Hintergrundzustand zusammenpassen, regional erhebliche klimatische Effekte erzeugen kann."

Expertinnen und Experten heben hervor, dass die Kombination aus geochemischen Fingerabdrücken, tephrochronologischer Korrelation (Kennzeichnung von Eruptionsmaterial durch charakteristische Ascheschichten) und modellgestützten Atmosphärentransport-Simulationen einen robusten Weg darstellt, um Quellen für chemische Anomalien zu identifizieren. Solche multiplen unabhängigen Ansätze minimieren Unsicherheiten, die aus einzelnen Datensätzen allein resultieren können.

Schlussfolgerung

Die Neubewertung des grönländischen Platinspikes legt nahe, dass eine vulkanische Herkunft in Verbindung mit isländischen Spalteneruptionen oder untergetauchten Ausbrüchen die parsimonischste Erklärung für die anomalieartige Chemie ist, die vor rund 12.800 Jahren im Eis aufgezeichnet wurde. Bimsproben aus der Laacher-See-Eruption weisen nicht die für einen direkten Zusammenhang erforderliche Platin-Signatur auf, und das Auftreten des Platinspikes einige Jahrzehnte nach dem Beginn des Younger Dryas macht ihn als initialen Auslöser unwahrscheinlich. Dennoch stimmt weiteres vulkanisches Sulfatmaterial mit einem vulkanisch bedingten Impuls zum Beginn des Younger Dryas überein und stützt die Auffassung, dass große Nordhemisphären-Eruptionen — statt eines einzelnen katastrophalen Impakts — weiterhin als führende Kandidaten für die abrupte Klimawende gelten.

Um die Abfolge der Ereignisse, die zur Kippung des Erdklimas in den Younger Dryas führten, endgültig zu klären, sind fortgesetzte hochauflösende Eisbohrkernarbeiten, breit angelegte Spurenelementuntersuchungen potenzieller vulkanischer Ablagerungen sowie integrierte Modellierungen der vulkanischen Aerosolwirkung erforderlich. Ergänzend sind verbesserte Chronologien, tephrostratigraphische Vergleiche über Kontinente hinweg und interdisziplinäre Datenintegrationen (Pollen, Sedimentologie, Isotopenanalysen) nötig, um Ursache, Wirkung und regionale Ausprägungen dieses der Klimageschichte so bedeutenden Ereignisses vollständig zu rekonstruieren.

Quelle: sciencealert

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