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Ein fantasievolles mechanisches Modell des Mount Vesuvius, das ursprünglich 1775 konzipiert wurde, ist nun gebaut und zum ersten Mal in Betrieb genommen worden – ein komplettes Vierteljahrtausend nach seiner ersten Skizze. Mit modernen Materialien, digital gesteuerten Bauteilen und elektronischer Steuerung haben zwei Ingenieurstudierende der University of Melbourne eine Idee des 18. Jahrhunderts in eine funktionstüchtige Demonstration übersetzt, die Lava, Licht und eruptive Dynamik simuliert. Diese Rekonstruktion verbindet historisches Interesse mit aktueller Mechatronik und zeigt, wie physische Modelle in der Wissenschaftskommunikation genutzt werden können.
Bringing Hamilton’s clockwork spectacle into the 21st century
Sir William Hamilton, der britische Gesandte in Neapel und Sizilien gegen Ende des 18. Jahrhunderts, verband wissenschaftliche Neugier mit visueller Dramatik, als er ein mechanisches Gerät vorschlug, das vulkanische Eruptionen darstellen sollte. Obwohl es keine belegten Hinweise darauf gibt, dass Hamiltons ursprünglicher Apparat tatsächlich gebaut wurde, diente eine detaillierte Skizze, die in der Bibliothèque municipale de Bordeaux überliefert ist, als Blaupause für die zeitgenössische Rekonstruktion. Die historische Quelle gibt Aufschluss über Gestalt und Funktionsidee des Automaten und zeigt, wie frühe Naturforscher visuelle Modelle als Lehr- und Anschauungsobjekte verstanden.
Angeregt durch diese archivierte Zeichnung verbrachten Xinyu (Jasmine) Xu, Masterstudentin der Mechatronik, und Yuji (Andy) Zeng, Masterstudent des Maschinenbaus, drei Monate in der Werkstatt "The Creator Space", um Hamiltons Konzeption neu zu interpretieren und praktisch umzusetzen. Ihre moderne Umsetzung ersetzt das Uhrwerk des 18. Jahrhunderts durch laser-geschnittenes Holz, Acrylplatten, programmierbare LED-Beleuchtung, Mikrocontroller und zeitgemäße elektronische Steuerungssysteme. Diese Komponenten wurden gezielt ausgewählt, um glühende Lavaflüsse, plötzliche eruptive Ausbrüche und das Spiel von Licht und Schatten nachzubilden, während die Antriebselemente weitgehend verborgen bleiben. Die Kombination aus mechanischem Design, digitaler Steuerung und Lichttechnik erlaubt eine realistische, aber sichere Visualisierung vulkanischer Prozesse für das Publikum.
Die Rekonstruktion bediente sich typischer Techniken der modernen Modellbau- und Mechatronikpraxis: 3D-gedruckte Bauteile und CNC- oder Laserbearbeitung für präzise Formteile, Diffusoren aus transluzentem Acryl zur Erzeugung homogener Leuchtfelder, adressierbare LED-Streifen (z. B. Modelle mit WS2812-ähnlicher Technologie) zur dynamischen Farb- und Helligkeitssteuerung sowie Mikrocontroller (häufig eingesetzte Plattformen sind Arduino- oder ESP-basierte Systeme) zur zeitlichen Steuerung von Lichtsequenzen und mechanischen Aktoren. Durch Pulsweitenmodulation (PWM), einfache Steueralgorithmen und abgestimmte Bewegungsprofile konnten die Studierenden den Eindruck von fließender Lava und eruptiven Schüben überzeugend nachbilden.
„Es ist passend, dass nach genau 250 Jahren dieses ruhende Projekt wieder zum Leben erweckt wurde“, sagte Dr. Richard Gillespie, leitender Kurator an der Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informationstechnologie. „Es ist ein wunderbares Beispiel für Wissenschaftskommunikation. Menschen weltweit sind stets von der gewaltigen Kraft der Vulkane fasziniert.“ Der Kommentar betont, wie historische Ideen heute wieder aufgegriffen werden können, um das Verständnis für Naturgefahren wie vulkanische Eruptionen zu fördern und den öffentlichen Diskurs zu bereichern.

Engineering challenges, craft skills and learning outcomes
Die Nachbildung eines nur auf dem Papier gedachten Automaten verlangte mehr als das treue Abzeichnen einer historischen Skizze: es erforderte ein systematisches Übersetzen von gezeichneten Mechanismen in realisierbare Konstruktionsprinzipien. Die Studierenden sahen sich praktischen Problemen gegenüber, die Hamilton selbst erkannt hätte: Wie können Antriebselemente verborgen werden, ohne die Wirkung der Szene zu schmälern? Wie lässt sich das Verhältnis von Bewegung und Beleuchtung so abstimmen, dass die Illusion von natürlich fließender Lava entsteht? Und wie nutzt man moderne Elektronik, um den Rhythmus und die Varianz einer Eruption nachzubilden, ohne komplexe industrielle Steuerungen einzusetzen?
Typische ingenieurmäßige Fragestellungen, die während des Projekts gelöst werden mussten, reichten von der Auswahl geeigneter Materialien (Gewicht, Wärmebeständigkeit, Lichtdurchlässigkeit) über die kinematische Auslegung von Hebel- und Kurvensystemen bis hin zur elektrischen Absicherung von LED- und Motorsteuerungen. Die Wahl von Diffusormaterialien und Farbtemperaturen war entscheidend, um die Farbwiedergabe glühender Lava glaubhaft zu gestalten: eine Mischung aus warmen Rot-, Orange- und Gelbtönen mit abgestuften Helligkeitsverläufen erzeugt Tiefe und Bewegung, während kurze, helle Kontraste explosive Ausbrüche andeuten können.
„Das Projekt bot eine Fülle von Lerngelegenheiten. Ich konnte viele Fähigkeiten erweitern, darunter Programmierung, Löten und die Anwendung physikalischer Prinzipien“, sagte Frau Xu. Herr Zeng ergänzte: „Es war ein fantastischer Weg, meine praktischen Problemlösungsfähigkeiten zu stärken. Wir standen vor ähnlichen Herausforderungen wie Hamilton: Das Licht musste so gestaltet und ausbalanciert werden, dass die Mechaniken verborgen bleiben, aber die dramaturgische Wirkung erhalten bleibt.“ Solche Aussagen unterstreichen sowohl die technischen als auch die gestalterischen Lernziele: mechanisches Design und ästhetische Präsentation müssen Hand in Hand gehen.
Der betreuende Forschungsingenieur Andrew Kogios lobte die Beharrlichkeit der Studierenden: „Von der Materialauswahl und dem 3D-Druck bis hin zur Fehlersuche an Elektronikkomponenten und der Einhaltung gestalterischer Vorgaben war die Zusammenarbeit mit Yuji und Xinyu äußerst lohnend. Solche praxisnahen Erfahrungen ergänzen das universitäre Studium und qualifizieren die Studierenden für weitere berufliche Schritte.“ Die Umsetzung demonstriert zudem, wie projektbasierte Lehre in den Ingenieurwissenschaften nachhaltige Kompetenzen in Mechatronik, digitaler Fertigung und Wissenschaftskommunikation fördert.
Why the reconstruction matters
Über die bloße Neuauflage eines historischen Geräts hinaus liegt der Wert dieses Projekts an der Schnittstelle von Geschichte, Vulkanologie und Wissenschaftskommunikation. Die Rekonstruktion übersetzt Archivforschung und eine Aquarellserie von Pietro Fabris, „Night View of a Current of Lava“ (1771), in ein taktiles Demonstrationsobjekt, das es dem Publikum erlaubt, vulkanische Prozesse sinnlich nachzuvollziehen: glühende Lavaflüsse, explosive Gasfreisetzungen und das Spiel von Licht über Asche und Gestein. Solche Modelle sind besonders für Museumsbesucherinnen und -besucher sowie Studierende hilfreich, die mit der Mechanik und Dynamik von Vulkanen bislang wenig vertraut sind.
Die Vermittlungswirkung eines physischen Modells liegt in mehreren Punkten: erstens schafft ein Modell einen greifbaren Bezug zur Naturerscheinung und ermöglicht mentale Modelle, zweitens erleichtert die Kombination aus Bewegung und Licht das Verständnis von zeitabhängigen Prozessen wie Strömungsdynamik und Eruptionszyklen, und drittens dienen solche Anschauungsobjekte als Gesprächsanreger für weiterführende Themen wie Risikokommunikation, Vulkanüberwachung und Gefahrenprävention. Insbesondere in der Risikokommunikation sind anschauliche Demonstrationen ein wichtiges Instrument, um komplexe wissenschaftliche Informationen für ein Laienpublikum zugänglich zu machen.
Das fertige Gerät ist derzeit das Herzstück der Ausstellung „The Grand Tour“ in der Baillieu Library der University of Melbourne und ist dort bis zum 28. Juni 2026 zu sehen. Als öffentlich ausgestelltes Artefakt macht es deutlich, wie Ingenieurwesen und digitale Fertigung historische naturwissenschaftliche Ideen wiederbeleben können und wie taktile Modelle nach wie vor kraftvolle Werkzeuge sind, um Naturgefahren wie Vulkanausbrüche zu erklären. Die Ausstellung verknüpft historische Quellen, künstlerische Darstellungen und moderne Technik und zeigt damit exemplarisch interdisziplinäre Möglichkeiten von Forschung und Lehre.
Durch die Kombination von Archivforschung, Mechatronik und kreativem Ingenieurwesen hebt diese Wiederbelebung von Hamiltons Vesuv-Modell die anhaltende Attraktivität von Rekonstruktionen hervor: Sie machen das Vergangene hörbar und sichtbar und laden neue Generationen dazu ein, die Naturwissenschaften hinter dem Spektakel zu erkunden. Zudem bieten solche Projekte eine Plattform, um technologische Basiskompetenzen wie CAD-Modellierung, elektronische Steuerung, Materialkunde und physikalische Modellierung in einem realen Kontext zu vermitteln. Für Hochschulen und Museen stellen sie daher ein wertvolles Bindeglied zwischen Forschung, Lehre und öffentlicher Vermittlung dar.
Technisch gesehen eröffnet das Modell darüber hinaus Fragen und Möglichkeiten für zukünftige Forschungs- und Bildungsprojekte: Wie lassen sich reale Messdaten von Vulkanen (z. B. Thermalinfrarot, seismische Signale oder Gasemissionen) in Echtzeit in eine gesteuerte Modellanzeige einspeisen? Welche Rolle können sensorgestützte Systeme und datengetriebene Steueralgorithmen spielen, um realistischere oder sogar prognostische Demonstrationen zu schaffen? Solche Ansätze würden nicht nur die Authentizität von Simulationen erhöhen, sondern auch die Verbindung zwischen feldbasierter Vulkanologie und öffentlicher Bildung stärken.
Abschließend zeigt die Rekonstruktion von Hamiltons mechanischem Vesuv-Modell, wie historische Wissenschaftsideen durch moderne Fertigungsmethoden und interdisziplinäre Zusammenarbeit neue Relevanz gewinnen können. Sie demonstriert zudem, dass einfache, gut gestaltete physische Modelle in einer Zeit digitaler Visualisierungen weiterhin eine einzigartige und überzeugende Rolle in der Vermittlung naturwissenschaftlicher Phänomene spielen – insbesondere, wenn es um die Vermittlung von Risiken, Dynamik und ästhetischer Faszination von Naturgewalten wie Vulkanen geht.
Quelle: scitechdaily
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