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Die fünfte Ausgabe von Going Global bei Rockit Vilnius begann mit einem ungewöhnlich bodenständigen Versprechen: Die Frage wo ein Unternehmen seinen Ursprung hat, ist keine Fußnote, sondern ein Werkzeug. Nicht nur ein Marketingornament, sondern ein operativer Vorteil. Für litauische Unternehmen — besonders jene, die in Vilnius wachsen — hat sich diese Idee von einer bloßen Absicht zu einem messbaren Trend entwickelt. Dieser Wandel betrifft Markenwahrnehmung, Investorenvertrauen und die Art, wie Talente rekrutiert werden.
Das Panel mit dem Titel „Made in Vilnius: Turning the Origin Story to an Advantage“ versammelte drei Vertreter von Unternehmen, die inzwischen grenzüberschreitend agieren:
Laura Tyrylytė, Head of PR bei Nord Security;
Juozas Nainys, CEO und Mitgründer von Atrandi Biosciences;
Virgilijus Kupinas, Marketing Director bei BIOCITY;
und Moderatorin Lukrecija Giedraitytė, Wirtschaftsredakteurin bei Delfi. Gemeinsam kombinierten sie praktische Erfahrungen aus den Bereichen Cybersecurity, Biotechnologie und Clusterentwicklung, und diskutierten, wie Herkunft, Standort und Identität internationale Skalierung beeinflussen.
Was sich in der folgenden Stunde entwickelte, war weniger ein poliertes Handbuch als vielmehr eine ehrliche Untersuchung darüber, wie Herkunft, Identität und Geografie – manchmal subtil, manchmal deutlich – eine Rolle spielen, wenn ein Unternehmen weltweit skalieren will. Die Diskussion beleuchtete sowohl kommunikationsstrategische als auch technische Aspekte der Internationalisierung.
Rockit’s premise: global ambition begins in small places
Die Einführung durch Rockit setzte den Ton: Globale Ambitionen sind für litauische Startups längst keine Option mehr, sondern eine Erwartung. Das Ökosystem ist nicht mehr ausschließlich in der Frühphase; es erreicht bereits die zweite und dritte Welle von Gründungen und Skalierungen. Die Organisatoren betonten, dass viele global orientierte Unternehmen in kompakten Städten entstehen, wo Nähe Geschwindigkeit fördert und eine konzentrierte Talentdichte unerwartete Hebelwirkungen erzeugt. Vilnius — klein, direkt und leicht zu navigieren — passt genau in dieses Muster. Die Stadt bietet eine Kombination aus technologischer Infrastruktur, akademischer Ausbildung und pragmatischer Unternehmenskultur.

Die Moderatorin formulierte die Kernfrage einfach:
Wenn Ihr Unternehmen in Vilnius beginnt — interessiert das die Außenwelt? Und falls ja, lässt sich das in einen Vorteil verwandeln?
Nord Security: from hiding the origin to owning it
Laura Tyrylytė beschrieb die Entwicklung von Nord Security über mehr als ein Jahrzehnt. Als NordVPN 2012 startete, gab es kaum eine litauische Startup-Szene, die internationale Medien wahrnahmen. Litauen wurde außerhalb der Region selten in diesem Kontext erwähnt. Cybersecurity wurde nicht automatisch mit Vilnius assoziiert. In den ersten Jahren konzentrierte sich das Unternehmen fast ausschließlich auf Produktwert und technische Exzellenz, technische Architektur und Kundenerfahrung.
Die Herkunftsgeschichte wurde nicht geleugnet — sie war schlichtweg für die Wahrnehmung auf dem globalen Markt lange irrelevant. Strategische Kommunikation zielte zunächst eher darauf ab, technische Kompetenz und Produktperformance in den Vordergrund zu stellen.
Alles änderte sich, als Nord Security 2022 Litauens zweites Unicorn wurde. Plötzlich stellte sich die Frage: Sind sie noch ein „globales Tech-Produktunternehmen, das zufällig aus Vilnius kommt“, oder sind die litauischen Wurzeln Teil der Identität geworden? Intern waren Gründer und Team immer offen bezüglich ihrer Herkunft, doch die Kommunikationsstrategie spiegelte das noch nicht in vollem Umfang wider. Es folgten bewusste Schritte zur Markenpositionierung und Länderkommunikation.

Tyrylytė erklärte, dass das Team erkannte, dass sich etwas in der Wahrnehmung verschoben hatte:
Jüngere Generationen folgen Marken, die authentisch, verwurzelt und ehrlich in ihrer Kommunikation sind.
Die Herkunft zu verbergen war nicht mehr notwendig — und konnte sogar künstlich wirken. In einer Zeit, in der Transparenz und Wertekommunikation an Bedeutung gewinnen, war Authentizität ein Entscheidungskriterium für viele Kundensegmente.
Litauens langjährige Betonung von Sicherheit, Datenschutz und digitaler Infrastruktur passte natürlich zur Mission von Nord Security. Das Unternehmen begann, "Made in Vilnius" stärker in Erzählungen zu integrieren — nicht als patriotisches Label, sondern als faktische Komponente: Produkte, die in einem Land mit ausgewiesener Expertise in Cybersecurity und IT-Ausbildung entwickelt werden. Diese Positionierung unterstützte auch Employer Branding und Talentgewinnung.
Tyrylytė erinnerte daran, wie schwierig es früher war, mit internationalen Journalisten zu sprechen. In den USA löste die Erwähnung Litauens oft Verwirrung aus. Die Pandemie veränderte das. Litauens Reputation gewann durch die COVID-Reaktion, digitale Verwaltung und später durch eine klarere politische Stimme in der Region an Gewicht. Plötzlich kannten Journalisten den Ländernamen und verbanden Litauen teilweise sogar mit Innovationen im digitalen Bereich.
Diese Verschiebung hatte praktische Folgen. Medienbesuche wurden leichter zu arrangieren. Journalisten einzuladen, um das Hauptquartier in Vilnius zu besuchen, erforderte nicht mehr lange Erklärungen. Vor Ort fanden sie ein unerwartetes Ökosystem: Cybersecurity-Firmen, Lasersciencelabore, Fintech-Startups und Deep-Tech-Forschungszentren. Die physische Umgebung — kompakt, hochtechnisch, frei von aufgeblasener Fachsprache — erzählte eine andere Geschichte als die anfängliche Wahrnehmung.

Atrandi Biosciences: rebranding toward authenticity
Wenn bei Nord Security die Herkunftsgeschichte allmählich sichtbar wurde, erreichte Atrandi Biosciences ihre Wendung durch einen klaren Einschnitt.
CEO Juozas Nainys erklärte, dass das Unternehmen anfangs Droplet hieß. Der Name sollte westlichen Ohren vertraut klingen, da litauische Namen global manchmal sprachlich fremd wirken. Das Team glaubte, ein neutraler Name würde Reibungsverluste reduzieren und internationalen Zugang erleichtern.
Als das Unternehmen jedoch seine Produktpalette erweiterte und größere Finanzierungsrunden anstrebte, trug der alte Name die Unternehmensgeschichte nicht mehr. Bei der Zusammenarbeit mit einer US-Branding-Agentur erwarteten sie Vorschläge für eine glatte, anglo-kompatible Identität. Stattdessen riet die Agentur zu Authentizität: Hört auf, die Herkunft zu verstecken — setzt bewusst darauf.
Der neue Name, Atrandi, leitet sich vom litauischen Wort für „entdecken“ ab. Die Gründer, viele mit Ausbildungen an Harvard, Columbia und Oxford, kehrten bewusst nach Litauen zurück und erkannten, dass die Entscheidung, in Vilnius zu bauen, kein Zufall, sondern Teil des Wertversprechens war. Litauen hatte sich zu einem Hub für Life Sciences, Molekularbiologie und Droplet-Mikrofluidik entwickelt. Talente waren stark, Kosten effizient und die wissenschaftliche Infrastruktur robust. Diese Kombination ist für Biotech-Instrumentenhersteller ein relevantes Unterscheidungsmerkmal.

US-Investoren reisten mitunter noch unsicher an, ohne genau zu wissen, wie ein Biotech-Unternehmen in Vilnius strukturiert sein könnte. Ihre Wahrnehmung änderte sich schnell bei Besuchen. Anstatt eines peripheren Clusters fanden sie ein konzentriertes Ökosystem mit hoher technischer Strenge und praktischer Forschungsorientierung. Solche Vor-Ort-Erfahrungen reduzieren Informationsasymmetrien und stärken Investmententscheidungen.
Nainys betonte, dass für Wissenschaftler Geografie weniger zählt als Glaubwürdigkeit — und Glaubwürdigkeit entsteht durch Resultate. Sobald Kunden Atrandis Instrumente nutzten und wissenschaftliche Publikationen mit deren Tools erschienen, wurde der Standort zu einer interessanten Randbemerkung statt zu einem Hindernis. Reputation durch Peer-Review und technische Validierung ist in der Biotech-Branche besonders wirkungsvoll.
BIOCITY: when your city is part of the pitch
BIOCITY unterscheidet sich in seiner Funktion von den anderen beiden: Es ist kein einzelnes Startup, sondern ein wachsendes Cluster- und Infrastrukturprojekt. Marketingdirektor Virgilijus Kupinas argumentierte, dass Vilnius für sie nicht nur eine Herkunftsgeschichte ist; die Stadt ist ein grundlegender Vermögenswert. Clusterstrategien kombinieren Standortmarketing mit konkreten Angeboten an Infrastruktur, Talententwicklung und Netzwerkbildung.
Kupinas räumte ein, dass sich Biotech-Giganten in Städten wie Boston, London, Kopenhagen und Singapur konzentrieren. Auf diesem Niveau zu konkurrieren, erfordert mehr als Branding: Es braucht die Fähigkeit zu zeigen, dass Vilnius etwas bietet, das große Städte nicht leicht nachbilden können: hochqualifizierte Wissenschaftler, die nicht bloß Angestellte sind, sondern Mitglieder einer eng verflochtenen Community mit Erfahrung in angewandter Forschung und industrieller Umsetzung.

Der Ansatz von BIOCITY ist pragmatisch. Anstatt potenzielle Kunden und Partner mit Pitchdecks zu überzeugen, laden sie zur Besichtigung ein. Der Effekt ist unmittelbar: Sobald Besucher die Menschen hinter dem Cluster kennenlernen — junge Forschende, erfahrene Ingenieure, leitende Wissenschaftler — verschiebt sich die Erzählung. Kompetenz spricht lauter als Geografie, und persönliche Begegnungen bauen Vertrauen schneller auf als jede Folienpräsentation.
Kupinas betonte, dass Litauens Biotech-Geschichte nicht neu ist. Sie reicht über vier Jahrzehnte wissenschaftlicher Kontinuität zurück, angefangen mit der Gründung des Entomologischen Instituts 1975 und späteren gentechnischen Laboren. Die Spezialisierung auf Restriktionsenzyme — nach wie vor eine der Stärken der Region — schuf eine Grundlage, die heutige moderne Molekularbiologie-Unternehmen unterstützt. Langfristige institutionelle Expertise ist ein seltener Vorteil kleiner Länder.
Diese Geschichte verschafft Unternehmen wie Atrandi und Clustern wie BIOCITY einen ungewöhnlichen Vorteil: harte Wissenschaft mit langem institutionellem Gedächtnis. Nicht viele kleine Länder können auf eine solche wissenschaftliche Kontinuität und technische Tiefe verweisen, was Investorenansprache und strategische Partnerschaften erleichtert.
The small-country paradox: does being from Lithuania limit access?
Die Moderatorin stellte eine Frage, die vielen aufstrebenden Ökosystemen vertraut ist: Wenn man in einem Land mit weniger als drei Millionen Einwohnern ansässig ist, nimmt die Welt einen dann ernst? Die Sorge betrifft Marktzugang, Netzwerkreichweite, Talentpools und das Vertrauen großer Kapitalgeber.
Nainys antwortete ruhig: Litauen ist klein, aber das wissenschaftliche Ökosystem ist Teil einer größeren nordischen-baltischen Region mit Zugang zu globalen Talentnetzwerken. Für Atrandi war die Herkunft nie ein Hindernis bei der Kapitalbeschaffung. Investoren sehen Litauen oft als effizient und hochkompetent. Regionale Kooperationen und EU-Forschungsprogramme erhöhen die Sichtbarkeit und das Vertrauen weiter.

Kupinas ergänzte den historischen Kontext: Obwohl Unternehmen wie Thermo Fisher und TEVA seit Jahrzehnten in Litauen tätig sind, waren Frühphasen-Investitionen im Biotech-Bereich lange rar. Was sich in den letzten Jahren verändert hat, ist dramatisch: größere Venture-Runden, mehr internationales Kapital und mehr Besucher, die nach Opportunitäten statt nach Kuriositäten suchen. Diese Kapitalflüsse ermöglichen Skalierung, Talentbindung und Internationalisierung.
Die Moderatorin wies darauf hin, dass mit wachsender globaler Aufmerksamkeit für Litauen mehr Journalisten und Investoren tatsächlich nach Vilnius reisen wollen — etwas, das vor einem Jahrzehnt noch undenkbar erschien. Solche Besuche fördern direkte Dialoge, reduzieren Missverständnisse und führen zu konkreteren Partnerschaften.
A shift in global identity
Ein wiederkehrendes Thema bei allen Gesprächsteilnehmern war die Wahrnehmung, dass Litauens Ruf eine sichtbare Transformation erfahren hat. Jahrelang war das Land für viele ein weißer Fleck auf der Karte. Doch eine Kombination aus politischer Klarheit, technologischer Infrastruktur und dem Aufstieg einer neuen Gründerwelle hat dieses Bild verändert. Die Sichtbarkeit in internationalen Medien, in Fachkonferenzen und in Forschungskonsortien ist gewachsen.
Für Unternehmen wie Nord Security bedeutet diese Veränderung, dass internationale Medien vor Interviews keine geografischen Erklärungen mehr verlangen. Für Atrandi heißt es, dass Biotech-Kunden Litauen nicht mehr als Anomalie betrachten. Für BIOCITY bedeutet das, dass Vilnius selbst als Beleg für Leistungsfähigkeit genutzt werden kann: ein kompaktes Ökosystem, in dem Menschen sich kennen, leicht zusammenarbeiten und schnell agieren. Diese Reputation unterstützt Talentgewinnung, Partnerschaften und Markterschließungsstrategien.

Jedes Unternehmen zog die gleiche Schlussfolgerung aus einem anderen Blickwinkel:
Die Herkunft wird nur dann zum Vorteil, wenn man aufhört, sich dafür zu entschuldigen, und beginnt, sie zu artikulieren. Eine klare Herkunftskommunikation kann Vertrauen schaffen, Differenzierung ermöglichen und die Narrative für internationale Skalierung stützen.
The panel’s quiet consensus
Obwohl jedes Unternehmen in einer anderen Branche tätig ist — Cybersecurity, Biotech-Tools, Bioproduktion — konvergieren ihre Erfahrungen:
Vilnius ist klein, aber nicht peripher.
Sein Maßstab ist Teil seiner Nützlichkeit.
Sein Talent ist messbar.
Sein Ruf wächst kontinuierlich.
Und vielleicht am wichtigsten: Globale Unternehmen müssen ihre litauische Identität nicht mehr verwässern oder verschleiern. Anstatt die Herkunft als Detail zu behandeln, das verborgen werden sollte, integrieren sie sie in die Erzählung als Beleg für Glaubwürdigkeit, Stabilität und Tiefe. Diese Positionierung wirkt in PR, Investor Relations und beim internationalen Recruiting gleichermaßen.

Beyond the stage
Als die Sitzung zu Ende ging, bemerkte die Moderatorin, dass weniger der Marketingwert der Herkunft entscheidend ist, sondern vielmehr ihr struktureller Wert: wie ein Ort das Team, die Kultur, die Prozesse, die Iterationsgeschwindigkeit und die Problemlösungsmentalität prägt. Die auf der Bühne vertretenen Unternehmen waren lebende Beispiele dafür, dass „Made in Vilnius“ mehr als ein Etikett sein kann — es kann eine strategische Ressource sein, die technologische Exzellenz, Innovationsfähigkeit und Netzwerkdichte verbindet.
Wenn der Rest der Welt Litauen weiterhin in ähnlicher Weise entdeckt, wie es Journalisten und Investoren in jüngster Zeit tun, könnte die Rolle der Stadt auf Europas Tech- und Biotech-Landkarte weit über ihre physische Größe hinauswachsen. Für Unternehmen bedeutet das erweiterte Marktchancen, für Investoren diversifizierte Möglichkeit und für Forscher stärkere Kollaborationsoptionen.
Quelle: smarti
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