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Einleitung: Ein Jahrhundert Rolls‑Royce Phantom
Nur wenige Automobilmodelle genießen einen so großen kulturellen Stellenwert wie der Rolls‑Royce Phantom. Seit seiner offiziellen Vorstellung im Jahr 1925 steht der Phantom als Inbegriff des ultimativen Luxus, eine Modellreihe, die beinahe hundert Jahre umfasst und höchste Handwerkskunst, maßgeschneiderte Technik und lautlose Perfektion verkörpert. Das Hundertjährige Bestehen des Phantom ist mehr als ein Jubiläum eines Fahrzeugs: Es ist eine Hommage an bleibende Designwerte, technische Entwicklung und das Ideal, was ein Flaggschiff der Luxusklasse sein kann.
Phantoms Beständigkeit: Mission und Marktposition
Rolls‑Royce positioniert den Phantom traditionell als sein glanzvollstes Modell, adressiert an Kunden, die nach höchstem Komfort, starker Präsenz sowie individuellen Gestaltungsmöglichkeiten verlangen. Die Marke strebt danach, das begehrenswerteste, majestätischste und souveränst zu fahrende Automobil der Welt zu bauen. Diese Mission erklärt, warum sich der Name Phantom trotz schwankender Konjunkturen, wechselnder Geschmäcker und technischer Revolutionen behaupten konnte. Anstatt kurzlebigen Trends zu folgen, liegt der Fokus seit jeher auf drei Grundsätzen: einem überragenden Fahrkomfort, handgefertigten Details und einer ausgeprägten Individualisierung des Besitzes.
Hundertjahrfeier und Präsentation in Pebble Beach
Zum einhundertsten Jubiläum brachte Rolls‑Royce während der Monterey Car Week erlesene Exemplare jeder Phantom-Generation zusammen und reihte klassische Fahrzeuge in einer eigenen „100 Years of Phantom“-Concours-Kategorie in Pebble Beach auf. Die dortige Ausstellung verdeutlichte, wie jede Generation ihren Zeitgeist widerspiegelt, dabei aber stets eine Linie von Präsenz, hochwertigen Materialien und akribischer Ausgestaltung bewahrt.
Die Phantom-Generationen: Was jede Epoche prägt
Phantom I (1925–1931): Der New Phantom und der Beginn der Karosseriebaukunst
Das erste Serienmodell, zunächst als „New Phantom“ bezeichnet, schuf den Grundstein: Das Fahrgestell wurde an Kunden ausgeliefert, welche spezialisierte Karosseriebauer für individuelle Aufbauten beauftragten. Angetrieben von einem 7,7‑Liter Reihensechszylinder mit obenliegender Ventilsteuerung und einem unsynchronisierten Vierganggetriebe, nutzte die Federung vorn Halbelliptik- und hinten Auslegerfedern. Ein Teil der Fertigung wurde ins amerikanische Springfield verlegt. Besonders selten sind erhaltene Ascot Phaetons von Murphy Coachworks, deren Aluminium-Aufbau und luxuriöse Ausstattung die Sonderstellung der Marke gegenüber klassischen Werkssalons dokumentieren.

Phantom II (1929–1935): Verfeinerung des Chassis und der Continental
Angesichts gestiegener US-Konkurrenz in Leistung und Stil während der Wirtschaftskrise wurde der Phantom II umfassend verbessert: Ein optimiertes Fahrgestell, verbesserte Bremsen und ein Zylinderkopf mit Querstromprinzip steigerten die Leistung des 7,7‑Liter-Sechszylinders auf etwa 120 PS. Die Continental-Variante, mit verkürztem Radstand und leichter Karosserie, zielte auf verstärkt fahraktive Kunden ab – und legte so eine sportorientierte Philosophie an, die spätere Generationen erneut aufgriffen.

Phantom III (1936–1939): V‑12-Power und fortschrittliches Fahrwerk
Konfrontiert mit Mitbewerbern, die zunehmend auf Mehrzylindermotoren setzten, entwickelte Rolls‑Royce einen 7,3‑Liter-V‑12 mit knapp 180 PS, der auf Erfahrung aus der Flugzeugindustrie aufbaute. Völlig unabhängige Vorderradaufhängung und geänderte Lenkgeometrie sorgten für sehr gute Hochgeschwindigkeitsqualitäten. Der Phantom III zeigte, dass Rolls‑Royce Fahrkomfort und Highspeed-Kontrolle vereinen konnte – ein wichtiger Schritt im Automobilbau der 1930er.

Phantom IV (1950–1956): Exklusivität für Monarchen
Prägend durch Nachkriegszeit und Sparmaßnahmen, blieb der seltene Phantom IV fast ausschließlich gekrönten Häuptern und Staatsoberhäuptern vorbehalten. Nur 18 Fahrzeuge entstanden, ausgestattet mit 5,7- und 6,5‑Liter-Reihenachtzylindern, die auf sicheren, leisen Betrieb bei Paraden ausgelegt waren. Wagenaufbauten etwa von Hooper fanden Eingang in Königsflotten – darunter ein zweifarbiger Limousinenaufbau für Queen Elizabeth II und Prinz Philip, der über Jahrzehnte im Dienst stand. Der Phantom IV unterstreicht die Rolle von Rolls‑Royce als Lieferant für zeremonielle Fahrzeuge und als Symbol staatlicher Würde.

Phantom V (1959–1968): Berühmtheiten und V‑8-Motorisierung
Der Phantom V festigte Rolls‑Royces Ruf auch im Kreis prominenter Käufer. Ein 6,3‑Liter-V‑8 und ein Automatikgetriebe amerikanischer Herkunft sorgten für souveräne Kraftentfaltung, wie sie Limousinen benötigen. Berühmte Besitzer wie John Lennon, Elvis Presley und Liberace ließen besonders ausgefallene Lackierungen und Interieurgestaltungen anfertigen, sodass der Phantom nicht nur als Statussymbol, sondern auch als Bühne für individuelle Darstellung diente.

Phantom VI (1968–1990): Das Ende der reinen Fahrgestell-Ära
Mit dem Phantom VI endete die Tradition, Fahrzeuge hauptsächlich als Fahrgestell für unabhängige Karosseriebauer zu liefern. Von 1968 bis 1990 entstanden lediglich 374 Exemplare mit Fokus auf individuelles Handwerk, weit gespannte Radstände und landauletartige Aufbauten. Erstmals kam der legendäre 6,75‑Liter-V‑8 zum Einsatz, wie er Rolls-Royce und vereinzelt Bentleys in den folgenden Jahrzehnten antrieb. Fortschritte umfassten Luftfederung, verbessertes Heiz- und Klimasystem, sowie Hochleistungs-Trommelbremsen – eine Verbindung aus klassischem Handwerk und modernen Komfortinnovationen.

Phantom VII (2003–2017): Moderne Neuauflage aus Goodwood
Nach einer Produktionpause kehrte Rolls‑Royce unter BMW-Regie mit dem Phantom VII auf die Luxus-Bühne zurück; gefertigt im neu errichteten Werk Goodwood. Dieses Modell interpretierte das klassische Phantom-Konzept für das 21. Jahrhundert neu: Riesiger, gerader Kühlergrill, großformatige Räder und die ikonische Spirit of Ecstasy-Figur auf der Haube. Angetrieben von einem modernen V‑12 mit zwei Turboladern und adaptiver Luftfederung, bot der Wagen eine kaum zu toppende Laufruhe und das berühmte „Schweben“. Der Phantom VII brachte auch die „Starlight Headliner“-Option in Coupés – eine himmelsgleiche Ambientebeleuchtung als Zeichen des hauseigenen Individualisierungskonzepts.

Phantom VIII (2017–heute): Evolutionärer Luxus und Individualisierung
Die aktuelle Generation, der Phantom VIII, steht für eine sanfte Weiterentwicklung: Das prägnante Exterieur bleibt, doch das Interieur bietet ein bislang unerreichtes Maß an Technik, Materialien und Personalisierung. Besonders hervorzuheben sind die in die Armaturentafel integrierten „Galleries“ für individuelle Kunstwerke, beheizbare C-Säulen, elektrische Fußmassagen und modernste Infotainment- und Akustiksysteme. Der Phantom VIII ist die Basis für neue, vollständig maßgeschneiderte Coachbuild-Modelle aus Hause Rolls‑Royce, deren Einzelanfertigungen sieben- bis achtstellige Beträge erreichen.

Technische Eckdaten und Leistung
Im Verlauf der Generationen entwickelte sich der Phantom von großvolumigen Sechszylindern über V‑12- bis zu langlebigen V‑8‑Motoren weiter. Wichtige technische Kernpunkte sind:
- Motoren: 7,7-Liter Reihensechser (Phantom I/II), 7,3‑Liter-V‑12 (Phantom III), diverse Reihenachtzylinder (Phantom IV), 6,3‑Liter-V‑8 (Phantom V), 6,75‑Liter-V‑8 (Phantom VI+), moderne V‑12 mit Doppelturbo in aktuellen Modellen.
- Getriebeentwicklung: Von handgeschalteten Vierganggetrieben zu sanften Automatikgetrieben mit adaptiver Steuerung; heutige Modelle bieten hochmoderne Automatikboxen.
- Fahrwerk und Federung: Vom Blatt-/Auslegerfedersystem zur Einzelradaufhängung und hin zu selbstnivellierender Luftfederung, die für maximalen Komfort und Schallisolierung sorgt.
- Fahrleistungscharakter: Frühe Modelle setzten auf Drehmoment und Laufruhe, später kamen hohe Reisegeschwindigkeit und souveränes Highspeed-Verhalten hinzu; moderne Phantoms beschleunigen angesichts ihres Gewichts bemerkenswert zügig bei fast lautloser Kabinenumgebung.
Formensprache und Karosseriebau
Phantom stand immer für Präsenz und Silhouette. Gemeinsame Designelemente sind der markante, steil aufragende Kühlergrill mit vertikalen Streben, lang gezogene Karosserielinien, weit hinten liegende Passagierabteile und die Figur Spirit of Ecstasy. In der klassischen Ära schufen Karosseriebauer wie Hooper, Mulliner und Murphy Unikate nach Kundenwunsch. Heute lebt diese Tradition im hauseigenen Bespoke-Programm weiter: Individuelle Coachbuilds sowie mit Kunstwerken personalisierte „Galleries“ im Innenraum verkörpern erneut den Anspruch auf Einzigartigkeit.
Vergleich: Phantom im Wettbewerb
Im Segment der absoluten Luxusklasse stehen dem Phantom Rivalen wie der historische Bentley Mulsanne, eigenständige Karosseriebauten und moderne SUV & Limousinen der Spitzenklasse gegenüber. Im Vergleich favorisiert Rolls‑Royce traditionell höchste Ruhe und zeremonielle Wirkung vor sportlichen Fahreigenschaften, während Bentley sich eher an fahraktive Luxusliebhaber richtet. Gegenüber US-Konkurrenten wie Duesenberg, Packard und Cadillac inszenierte Rolls‑Royce Individualität und königliche Attitüde statt Massenproduktion. Heute zählen weniger Fahrleistungswerte, sondern Materialqualität, Gestaltung, Technologietiefe und Individualisierbarkeit.
Besitzererfahrung, Werterhalt und Lebensdauer
Auffallend ist die Langlebigkeit früher Modelle: Viele alte Phantoms sind durch solide Technik, hohe Komponentenqualität und Pflege seitens Sammlern heute noch im Einsatz. Das Besitzen eines Phantom ist geprägt durch Individualität – Fabrikoptionen nach Maß, handgefertigte Furniere, exklusive Lacke oder Einzelaufbauten in Perfektion. Die Kaufsummen und Preise für Einzelanfertigungen können Millionen erreichen; als Gegenwert erwerben Besitzer ein Stück Automobilhistorie, gesellschaftliches Prestige und einen Wagen, der sich dem geplanten Altern widersetzt.
Die Bedeutung des Phantom-Erbes für Autoliebhaber
Für Enthusiasten ist der Phantom ein rollendes Museum für Luxusautomobiltechnik des 20. und 21. Jahrhunderts. Er dokumentiert den Wandel von Einzelanfertigungen über werkseitige Individualisierung bis hin zur Kronung der Fahrzeugelektrotechnik und künstlerischen Innenraumgestaltung. Ob durch technische Pionierleistungen wie den V‑12 des Phantom III oder Innovationen der Phantom VIII-Galerie – jede Generation trägt zum fortlaufenden Erzählstrang dessen bei, was Luxusmobilität bedeuten kann, wenn Perfektion über Budgetgrenzen gestellt wird.
Ausblick: Die nächsten 100 Jahre Rolls‑Royce Phantom
Vor dem Phantom liegen nun neue Chancen und Herausforderungen: Elektrifizierung, Nachhaltigkeit, moderne Karosseriebauprozesse sowie sich verändernde Kundenansprüche. Die Historie zeigt, dass Rolls‑Royce klassisches Design und zukunftsweisende Technik kombinieren wird, um den Phantom auch in Zukunft zum begehrtesten Fahrzeug seiner Klasse zu machen. Für Sammler, Chauffeure und Liebhaber automobilen Kunsthandwerks bleibt er der Maßstab aller ultraluxuriösen Automobile.
Weitere Informationen und Ressourcen
Wer historische Phantoms live erleben will, sollte renommierte Veranstaltungen wie das Pebble Beach Concours d’Elegance besuchen, Werksarchive für Produktionsdetails konsultieren und aktuelle Bespoke-Ausschreibungen von Rolls‑Royce im Blick behalten. Käufer sollten beim Phantom auf langlebige Servicepläne, Individualisierungschancen und Werterhalt im Rahmen des Besitzes achten.
Quelle: caranddriver
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