7 Minuten
Die dramatische Austrocknung und plötzliche Wiederbelebung des Roten Meeres
Neue Forschungen unter Leitung von Wissenschaftlern der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) zeigen, dass das Rote Meer vor etwa 6,2 Millionen Jahren vollständig austrocknete und später durch eine katastrophale Flut aus dem Indischen Ozean wieder aufgefüllt wurde. Die Studie liefert überzeugende Hinweise darauf, dass das Becken zunächst zu einer fast vollständig salzverkrusteten Fläche wurde, bevor es innerhalb geologisch kurzer Zeiträume wieder in einen offenen Meereszustand zurückkehrte.
Durch die Kombination von Seismik, Mikrofossilien-Analysen und hochpräziser geochemischer Datierung konnten die Forschenden eine enge Chronologie dieses extremen Ereignisses erstellen: Der Übergang von Austrocknung zu normalen marinen Bedingungen fand in weniger als 100.000 Jahren statt, ein Zeitraum, der in geologischen Maßstäben als ausgesprochen kurz gilt. Nach Aussage der Projektleiterin Dr. Tihana Pensa (KAUST) dokumentiert das Becken damit eine der abruptesten Umweltwenden der Erdgeschichte, in der eine einst durchgehende Meeresstraße zu einer salzverkrusteten Wüste wurde und anschließend wieder zum offenen Meer wurde.

Belege und eingesetzte Methoden
Die interdisziplinäre Untersuchung stützt sich auf drei zentrale Datensätze, die zusammen ein schlüssiges Bild der Ereignisse ermöglichen und miteinander korreliert wurden, um Unsicherheiten zu reduzieren:
Seismische Abbildungen
Tiefenpenetrante seismische Untersuchungen offenbaren die Schichtarchitektur des Sedimentbeckens im Roten Meer sowie erhaltene Strukturen auf dem Meeresboden. Auffällig ist ein 320 Kilometer langer submariner Canyon, der in den südlichen Randbereich eingeschnitten ist. Diese großmaßstäbliche Erosionsstruktur spricht für ein hochenergetisches Ereignis und passt zu einer großvolumigen Flut, die vermutlich durch das Durchbrechen vulkanischer Barrieren in der Nähe der Hanish-Inseln verursacht wurde. Die seismischen Profile zeigen Schichtunterbrechungen, Einschublagen und erosive Abfolgen, die mit einem einzigen oder wenigen kurzzeitigen, sehr starken Durchflussereignissen vereinbar sind.
Mikrofossilien- und Sedimentanalysen
Analysen von Mikrofossilien (insbesondere Foraminiferen und andere planktonische Überreste) deuten auf ein langes Intervall mit stark reduzierter oder fehlender mariner Fauna in den Sedimenten hin, das in groben Zügen zwischen etwa 15 und 6 Millionen Jahren datiert wird. Diese Befunde sind konsistent mit erhöhten Salzgehalten, lokalem Artensterben und der Ablagerung von evaporitischen Mineralen wie Salz und Gips. Direkt über diesen Evaporitschichten tritt dann eine schlagartige Wiederkehr normalmariner Fossilien auf, was auf eine schnelle Wiederbesiedlung nach der Wiederzufuhr von Meerwasser hinweist. Sedimentologische Untersuchungen belegen außerdem die Bildung großflächiger, flacher Salzflächen und dreidimensional gut erhaltener Ablagerungen, die typische Kennzeichen langsamer Verdunstungsprozesse in abgeschlossenen Becken zeigen.
Geochemische Daten und Altersbeschränkungen
Isotopenbasierte Datierungen von Sedimenten sowie geochemische Signaturen, die Änderungen der Meerwassersalinität dokumentieren, erlaubten dem Team, das Timing auf etwa 6,2 Millionen Jahre vor heute einzugrenzen und die Geschwindigkeit der Wiederbefüllung auf unter 100.000 Jahre zu schätzen. Kombinationen aus radiometrischen Alterstechniken (z. B. Ar/Ar an vulkanischen Aschen) und chemostratigraphischen Markern (Isotopenverhältnisse, Spurenelementprofilen) erhöhten die Präzision der Chronologie. Durch das Zusammenführen dieser unabhängigen Linien entstand eine kohärente Abfolge von Austrocknung, Ablagerung umfangreicher Evaporite und anschließender rapider Marineinvasion.
Wie der Indische Ozean das Becken wieder füllte
Ursprünglich war das Rote Meer nördlich durch eine flache Schwelle mit dem Mittelmeer verbunden, verlor jedoch diese Verbindung und entwickelte sich zu einem stark verdunstungsgeprägten, salzhaltigen Becken. Im Süden trennten vulkanische Aufschüttungen nahe der Hanish-Inseln das Becken vom Indischen Ozean. Die neue Rekonstruktion legt nahe, dass Meerwasser aus dem Indischen Ozean die vulkanische Barriere überströmte oder durchbrach und so eine katastrophale Flut auslöste. Der daraus resultierende Wasserstrom schnitt den 320 km langen submarinen Canyon und überflutete die zuvor trockenen Salzflächen rasch, wodurch normale mariene Zirkulation und Ökosysteme wiederhergestellt wurden.
Diese Wiederbefüllung scheint der bekannten Zanclean-Flut des Mittelmeers um nahezu eine Million Jahre vorausgegangen zu sein, womit das Rote Meer eine eigenständige, frühere Rückkehr zu normalem Ozeanstatus in der globalen Meeresgeschichte zeigt. Dadurch entsteht ein differenziertes Bild von regionalen und globalen Meeresspiegel- und Klimaprozessen in der späten Miozänzeit.
Geologischer Kontext und Bedeutung
Das Rote Meer ist ein junges Ozeanbecken, das sich bildete, als die Arabische Platte vor etwa 30 Millionen Jahren von Afrika wegdriftete. Frühere Phasen umfassten Rift-Seen und später einen breiteren Golf, als das Becken erstmals vor etwa 23 Millionen Jahren von Norden her geflutet wurde. Während des Mittel- bis Spät-Miozäns (großräumig zwischen ca. 15 und 6 Millionen Jahren vor heute) führten eingeschränkter Wasseraustausch und hohe Verdunstungsraten zur großflächigen Ablagerung von Evaporiten (Salz, Gips) sowie zu lokalen Aussterbeereignissen mariner Organismen.
Die Austrocknung vor 6,2 Millionen Jahren und die anschließende Flut sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Sie zeigen, wie tektonische Prozesse (Riftbildung, vulkanische Barrieren), Meeresspiegeländerungen und regionales Klima zusammenwirken können, um extreme marine Umgebungen zu schaffen. Das Rote Meer fungiert damit als natürliche Versuchsanordnung für die Untersuchung, wie neue Ozeanbecken entstehen, wie mächtige Evaporitsequenzen akkumulieren und wie Ökosysteme auf extreme physikalische Umbrüche reagieren und sich wieder erholen. Die sedimentären Archive des Beckens bieten einzigartige, gut aufgelöste Zeitreihen für Paläoumweltanalysen und erlauben Rückschlüsse auf Ablagerungsbedingungen, Verwitterungseinflüsse und die Dynamik von Meeresspiegeländerungen.
Implikationen und weitere Forschung
Das Verständnis dieses raschen Wiederbefüllungsereignisses hat weitreichende Folgen für Paläoklima-Rekonstruktionen, Modelle der Ozeanzirkulation und die Interpretation von Sedimentsequenzen, die in der Hydrocarbon- und Mineralexploration verwendet werden. Besonders relevant sind dabei:
- Verbesserte Modelle der Was-ser-Massenbewegung und Erosionsdynamik bei großvolumigen Durchbrüchen.
- Präzisere Abschätzungen von Flutvolumina und Strömungsraten durch hochauflösende Sediment- und Seismikdaten.
- Einfluss auf die Bewertung der Bildung und Erhaltung von Evaporit-basierten Rohstoffvorkommen (z. B. Salz, Gips, potenzielle Lagerstätten für Seltene Erden in assoziierten Sedimenten).
Zukünftige Arbeiten werden sich auf detailliertere Kernbohrungen, höhere seismische Auflösung und zusätzliche geochemische Proxies konzentrieren, um Flutvolumen und -raten feiner zu quantifizieren und die Geschwindigkeit der ökologischen Wiederbesiedlung zu dokumentieren. Ein besonderer Forschungsschwerpunkt wird die Untersuchung der Wiederherstellung korallenbildender Systeme sein, die heute zum Teil noch im Roten Meer vorkommen und Hinweise auf die Resilienz mariner Lebensgemeinschaften liefern können.
„Unsere Ergebnisse erweitern das Verständnis darüber, wie Ozeane entstehen und wieder miteinander verbunden werden können“, sagte KAUST-Koautor Professor Abdulkader Al Afifi. Die Studie stärkt damit KAUSTs führende Rolle in der Roten-Meer-Forschung und unterstreicht die Bedeutung des Beckens als Scharnier zwischen tektonischen Prozessen, Klimavariabilität und Biosphärenveränderungen.
Fachliche Einschätzung
Dr. Lara Mitchell, eine Meeresgeologin, die nicht an der Studie beteiligt war, kommentierte: „Die Kombination aus seismischer Strukturabbildung und fossilen Belegen liefert ein überzeugendes Argument für eine hochenergetische Wiederbeflutung. Sollte der Canyon tatsächlich das Ergebnis einer einzigen, erosiven Flut sein, liefert er seltene und direkte Evidenz dafür, wie schnell ein marines Becken von hypersalinen Bedingungen zurück zu vollmarinen Verhältnissen wechseln kann — ein wichtiges Analogon für andere riftartige Becken weltweit.“
Schlussfolgerung
Die von KAUST geleitete Untersuchung kalibriert unser Verständnis der Roten-Meer-Geschichte neu: eine vollständige Austrocknung gefolgt von einer dramatischen Wiederbeflutung durch Indischer Ozeanwasser vor etwa 6,2 Millionen Jahren, ausgeführt auf einer geologisch überraschend kurzen Zeitskala. Dieses Ereignis veränderte das sedimentäre Archiv des Beckens nachhaltig und setzte seine ökologische Entwicklung neu. Es liefert ein lehrreiches Fallbeispiel dafür, wie Tektonik, Meeresspiegelveränderungen und Klima zusammenwirken können, um extreme marine Umgebungen zu schaffen und wieder zu verändern.
Quelle: scitechdaily
Kommentar hinterlassen