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Del Toros klare Haltung zu generativer KI
Guillermo del Toro — der mit dem Oscar ausgezeichnete Regisseur, bekannt für The Shape of Water und Pan's Labyrinth — sorgt erneut für Schlagzeilen. Diesmal erklärte er, er würde sich „lieber tot wähnen“, als generative künstliche Intelligenz in seinen Filmen zu verwenden. Während der Promotion für seine neue Frankenstein-Adaption stellte del Toro sein Nein nicht als bloße Technophobie dar, sondern als eine moralische und ästhetische Entscheidung: Maschinen, so argumentiert er, können nicht die ethischen Reflexionen, die menschlichen Texturen und die handwerkliche Tiefe reproduzieren, die großartiges Kino ausmachen.
Seine Aussage ist bewusst provokant formuliert und zielt darauf ab, eine Debatte zu entfachen: Welche Rolle sollen automatisierte Werkzeuge, neuronale Netze und generative KI im kreativen Prozess spielen? Del Toro positioniert sich klar auf der Seite des humanen, handwerklich geprägten Filmschaffens — einer Auffassung, die mit Schlagwörtern wie "praktische Effekte", "handwerkliche Authentizität" und "kreative Autorschaft" verbunden ist. Gleichzeitig fordert seine Haltung eine genauere Betrachtung der ethischen Dimensionen von KI im Kino, von Urheberrecht über Attribution bis zur sozialen Verantwortung der Produzenten.
Wichtig für das Verständnis seiner Position ist, dass del Toro nicht jeden technologischen Fortschritt ablehnt. Vielmehr unterscheidet er zwischen Werkzeugen, die das Handwerk unterstützen, und generativen Systemen, die kreative Entscheidungen ersetzen könnten. In seinen Ausführungen betont er, dass gerade die Nuancen von Mimik, Körperlichkeit und imperfektem Handwerk oft die emotionale Wirkung einer Szene bestimmen — Aspekte, die gegenwärtige generative KI-Modelle nur unzureichend nachbilden können.
Von Mary Shelley bis zur modernen Technikhubris
Del Toro zieht eine direkte Linie zwischen Mary Shelleys warnender Erzählung und dem heutigen KI-Boom. Er vergleicht die Hybris mancher Technologieentwickler mit Victor Frankensteins blindem Ehrgeiz — das Schaffen ohne ausreichende moralische Reflexion über die Konsequenzen. Dieser literarische Bezug verleiht seinen Aussagen zusätzliche Tiefe: Der Frankenstein-Mythos dient ihm als Spiegel für gegenwärtige Fragen der kreativen Verantwortung und Ethik.
In del Toros kommender Frankenstein-Adaption wird die Kreatur neu interpretiert: nicht als bloßes Monster der Wissenschaft, sondern als tragischer, romantischer Held, verankert in den Sensibilitäten des 19. Jahrhunderts und fern der kalten wissenschaftlichen Hybris. Diese Neuinterpretation ist ein bewusstes ästhetisches Statement, das traditionelle Themen wie Schuld, Mitgefühl und die Grenzen menschlichen Wissens in den Vordergrund rückt — Themen, die sich schwerlich allein durch Algorithmen realisieren lassen.
Seine Verknüpfung von Shelley und moderner Technologie ist nicht nur literarisch motiviert, sondern auch historisch reflektiert: Die Frankenstein-Erzählung war schon immer ein Denkmodell für die Risiken technologischer Überheblichkeit. Del Toro nutzt diese Tradition, um die Debatte über generative KI im Film mit moralischem Gewicht zu versehen: Wer trägt Verantwortung für die produzierten Inhalte, und welche Konsequenzen haben automatisierte Entscheidungen für Darstellung, Repräsentation und Beschäftigung in der Filmbranche?
Del Toro betont, dass die Frankenstein-Vorlage ihm erlaubt, Fragen nach Schöpfer und Geschöpf, nach Mitgefühl und Schuld in einem Kontext zu verhandeln, der zugleich technisch und zutiefst menschlich ist. Für ihn stellt sich die Frage nicht nur, ob KI als Werkzeug eingesetzt wird, sondern ob sie beginnen darf, die ästhetischen und ethischen Entscheidungen zu übernehmen, die bislang das Herzstück cineastischer Kunst waren.
Zudem beschrieb del Toro intime Erinnerungen, die seine Faszination für Tod und Monster prägten: die Geborgenheit von Gebeten seiner Großmutter in der Nacht, eine Kindheit in einem von ihm als „magischen Palast" bezeichneten Haus voller Bücher und seltsamer Tiere nach dem Lottogewinn seines Vaters 1969, sowie die erste Sichtung von James Whales Frankenstein (1931) im Alter von sieben Jahren — Erfahrungen, die er als prägend für seinen künstlerischen Weg bezeichnet. Diese Biografie erklärt zum Teil seine Sehnsucht nach handwerklicher Phantasie und die Abneigung gegen eine vollständig digitalisierte, entmenschlichte Produktion.
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Kontext: warum das für das Kino wichtig ist
Die Debatte um generative KI zählt zu den polarisiertesten Themen der Filmbranche. Studios und VFX-Firmen experimentieren zunehmend mit KI-gestützten Tools für Previsualisierung (Previs), De-Aging, Hintergrundgenerierung und automatisierte Compositing-Aufgaben. Gleichzeitig warnen Drehbuchautoren, VFX-Künstler und Gewerkschaften vor Arbeitsplatzverlusten, einer Verwässerung von Autorschaft und einer unklaren rechtlichen Lage bei Urheberrecht und Lizenzierung.
Generative KI kann aus Sicht von Befürwortern Arbeitsprozesse beschleunigen, kosteneffizient Inhalte erstellen und kreative Optionen erweitern. Beispiele dafür sind die automatische Erzeugung von Background-Crowds, das Retuschieren von Fehlern bei Stunts, oder das schnelle Prototyping von visuellen Stilen. Kritiker hingegen heben hervor, dass solche Werkzeuge oft auf umfangreichen Datensätzen trainiert werden — inklusive urheberrechtlich geschützter Werke — ohne dass die originären Künstler ausreichend anerkannt oder entschädigt werden.
Del Toros Plädoyer für praktische Effekte und menschlich getriebene Erzählweisen reiht ihn ein in eine wachsende Gruppe von Regisseuren, die traditionelle Techniken bevorzugen. Man denke an Christopher Nolans Beharren auf realen Stunts und physikalischen Kulissen statt rein digitaler Lösungen. Praktische Effekte, Make-up, Prothesen, Puppen und animatronische Konstruktionen erzeugen oft eine physische Präsenz, die das Publikum anders anspricht als computergenerierte Bilder. Diese haptische Qualität ist eine zentrale Komponente dessen, was del Toro als "menschliche Textur" des Films bezeichnet.
Hinzu kommen wirtschaftliche und strukturelle Überlegungen: Der Einsatz von KI kann die Produktionskosten an einzelnen Stellen senken, aber zugleich Abhängigkeiten von großen Technologieanbietern oder proprietären Modellen schaffen. Außerdem verändern sich die benötigten Kompetenzen am Set — von Handwerkern zu Prompt- und Modell-Operatoren — was Ausbildung, Gewerkschaften und Berufsprofile betrifft.
Aus dramaturgischer Sicht wirft die Debatte Fragen zur Autorenrolle auf: Wer ist der Urheber eines visuellen Moments — der Regisseur, der VFX-Supervisor, das Team, oder das Modell, das auf Basis großer Datensätze ein Bild erzeugt? Del Toro sieht in der handwerklichen Autorenschaft eine notwendige Transparenz: Die Entscheidung, einen Effekt bewusst handgemacht umzusetzen, ist für ihn auch eine ethische Position zur Verantwortung und zur Lesbarkeit von Filmkunst.
Vergleiche und kritische Perspektive
Del Toros Monster-als-Held-Ansatz erinnert an The Shape of Water, in dem der nicht-menschliche Protagonist die Sympathien des Publikums herausfordert und damit traditionelle Kategorien von „Monster" und „Mensch" infrage stellt. Diese Erzählstrategie steht im Kontrast zu zeitgenössischen Filmen, die KI eher philosophisch behandeln — etwa Alex Garlands Ex Machina — in denen maschinelle Intelligenz selbst das zentrale Thema der Handlung ist, nicht nur ein Produktionsmittel.
Filmkritiker und Branchenbeobachter werden genau verfolgen, ob del Toros handwerkliche, anti-KI-Haltung sein Frankenstein einschränkt oder bereichert. Eine mögliche Stärke liegt in der taktilen, romantischen Ästhetik, die sich durch praktische Effekte und klassische Beleuchtung erreichen lässt; sie könnte del Toros Version gegenüber anderen Horrorfilmen des Jahres 2025 hervorheben. Andererseits besteht das Risiko, dass eine kategorische Ablehnung moderner Tools unnötige Einschränkungen bei bestimmten Produktionsschritten schafft, etwa bei Sicherheitsfragen, Risikominderung oder beim Budget-Management.
Es gibt zudem eine technische Dimension: Generative KI ist nicht monolithisch. Modelle unterscheiden sich in Architektur, Trainingsdaten und Einsatzgebiet. Manche Tools eignen sich gut für konzeptionelle Arbeiten und Moodboards, andere für texturgetriebene Bildsynthese. Eine differenzierte Analyse zeigt: Nicht alle KI-Anwendungen bedrohen die kreative Kernarbeit gleichermaßen; manche können als Assistenzsysteme dienen, während andere das Potenzial haben, kreative Entscheidungen zu ersetzen.
Trivia-Fans werden kleine Details schätzen: del Toros langjährige Obsession mit Tod und Monstern begann in seiner frühen Kindheit, und er nennt klassische Universal-Horrorfilme weiterhin als wichtige Bezugspunkte. Online-Reaktionen sind überwiegend zustimmend gewesen; viele Fans loben seine Verteidigung des Handwerks, während andere argumentieren, dass verantwortungsvoll eingesetzte KI ein nützliches Werkzeug sein könnte, das Zeit für kreative Entscheidungen freisetzt.
Del Toro beendet seine öffentlichen Statements mit einem persönlichen Gelöbnis: Mit 61 Jahren hofft er, generative KI für den Rest seines Lebens uninteressant zu bleiben. Ob dieses Gelöbnis zum Manifest für andere Regisseure wird oder eine individuelle künstlerische Entscheidung bleibt, ist offen — sicher ist jedoch, dass seine Frankenstein-Adaption eines der meistbeachteten und diskutierten Werke der kommenden Saison sein wird.
Abschließend bleibt festzuhalten: Del Toros Position betrifft gleichermaßen kreative Autorschaft wie Technologie. Es ist ein Plädoyer, darüber nachzudenken, welches Kino wir schaffen wollen — und eine Erinnerung daran, dass Monster in Geschichten oft die Schöpfer reflektieren. In diesem Sinne fordert seine Haltung die Branche auf, die Balance zwischen technologischem Fortschritt, ethischer Verantwortung und handwerklicher Integrität bewusst auszuhandeln.
Technisch betrachtet bietet die Debatte um generative KI im Film mehrere konkrete Diskussionsfelder, die für Produzenten, Regisseure und Techniker relevant sind:
- Urheberrecht und Lizenzierung: Viele generative Modelle basieren auf Datensätzen, die historische Filmaufnahmen, Fotos und Kunstwerke enthalten. Die Frage, wie diese Quellen anerkannt und vergütet werden, bleibt oft ungeklärt.
- Qualitätskontrolle und Konsistenz: KI-generierte Inhalte können Inkonsistenzen in Stil, Beleuchtung oder Performance erzeugen. Menschliche Kontrolle bleibt daher unverzichtbar, wenn filmische Kohärenz gewahrt bleiben soll.
- Berufliche Umwälzungen: Die Integration von KI verändert Jobprofile. Während einige Aufgaben automatisiert werden, entstehen neue Rollen in der KI-Überwachung, Prompt-Engineering und Datenethik.
- Moralische Verantwortung: Filme formen Wahrnehmung und Narrative. Der Einsatz von KI wirft Fragen zur Repräsentation, Verzerrungen und möglichen Manipulationen auf, die sowohl Regisseure als auch Produzenten ernst nehmen müssen.
Für del Toro liegt der entscheidende Punkt in der künstlerischen Intention: Wenn ein Effekt oder eine Performance dazu dient, eine menschliche Wahrheit zu vermitteln, sollte die Entscheidung, wie diese Wahrheit erzeugt wird, bewusst und verantwortungsvoll getroffen werden. Das ist sein Kernargument gegen eine unreflektierte Nutzung generativer KI.
In der Praxis könnte ein kompromissorientierter Ansatz der Branche helfen: KI dort einsetzen, wo sie Prozesse sinnvoll ergänzt — etwa bei Routineaufgaben, Datenauswertung oder ideenbildender Unterstützung — und gleichzeitig bewusste Grenzen ziehen, sobald es um Kernaspekte von Darstellung, Authentizität und Autorschaft geht. Solch eine Strategie würde technische Effizienz mit künstlerischer Verantwortung verbinden und die Ausbildung von Filmschaffenden an neue Anforderungen anpassen.
Schließlich hat del Toro mit seiner klaren Haltung eine wichtige Rolle: Er zwingt die Branche, die Debatte nicht nur technisch, sondern auch kulturell und ethisch zu führen. Ob man seine Meinung teilt oder nicht, sein Votum trägt zur notwendigen öffentlichen Diskussion darüber bei, wie Zukunftstechnologien in einem kreativen, sozialen und rechtlichen Rahmen eingebettet werden sollten.
Quelle: smarti
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