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Keratin aus Haar und Wolle: Ein innovativer Weg zur Reparatur von Zahnschmelz
Forschende berichten, dass Keratin – ein Strukturprotein, das reichlich in Haaren, Haut und Wolle vorkommt – in der Lage ist, eine schützende, dem Zahnschmelz ähnliche Schicht auf den Zähnen zu bilden und Karies womöglich wirksamer zu stoppen als herkömmliche Zahnpasten mit Fluorid. In von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des King's College London geleiteten Laborexperimenten erzeugte Keratin, das aus Schafwolle gewonnen wurde, nach Kontakt mit Speichel ein dichtes, kristallines Netzwerk an der Zahnoberfläche. Diese Struktur zog Kalzium- und Phosphat-Ionen an und förderte das Wachstum einer Mineralschicht, die in ihrer Zusammensetzung und Härte natürlichem Zahnschmelz nahekommt – jenem festen Gewebe, das die Zähne normalerweise schützt.
Im Gegensatz zu Fluorid, das die Entmineralisierung lediglich verlangsamt und in begrenztem Maße die Remineralisierung unterstützt, wirkt Keratin offenbar als physische Matrize, die sowohl freiliegendes Zahngewebe abschirmt als auch gezielt die Ablagerung neuer Mineralien anregt. Laut den Forschenden könnten keratinbasierte Präparate nicht nur weiteren Substanzverlust vermeiden, sondern zudem verloren gegangenen Schmelz nachbilden und empfindliche Bereiche versiegeln, in denen Nerven freiliegen. Das würde Schmerzen lindern und invasive Behandlungen überflüssig machen.
Wissenschaftlicher Hintergrund, Wirkweise und Studiendetails
Aus biologischer Sicht besteht Zahnschmelz primär aus Hydroxylapatit, einem kristallinen Kalziumphosphat. In der Studie beobachteten die Wissenschaftler einen Keratin-Träger, der die hierarchische Struktur sowie die Färbung des Schmelzes nachahmt und zugleich als Kristallisationskern für neues Hydroxylapatit dient. Kommt Keratin mit Speichel in Berührung, bildet sich rasch eine haftende Beschichtung, deren Oberflächenchemie dann Kalzium (Ca2+) und Phosphat (PO43-) aus dem Speichel anreichert. Auf diese Weise wird schrittweise neue Mineralschicht gebildet.
Die veröffentlichten Untersuchungen setzten Keratin aus Schafwolle in kontrollierten Labortests an extrahierten Zähnen und künstlichen Schmelzmodellen ein. Über mehrere Zyklen hinweg wurde so ein zunehmend dickere und härtere Oberfläche aufgebaut. Die Forschenden betonen die nachhaltige Gewinnung des Proteins: Keratin lässt sich aus biologischen Reststoffen wie Wolle und menschlichem Haar extrahieren und stellt somit eine umweltfreundliche Alternative zu Kunststoffharzen in der Restauration dar.
Die Leitautorinnen und Autoren des Projekts bezeichnen Keratin als potenziell „bahnbrechende Alternative“ in der restaurativen Zahnmedizin. Sie merken an, dass damit die Abhängigkeit von toxischen Kunststoffen verringert und Fluorid-Strategien sinnvoll ergänzt oder sogar ersetzt werden könnten. Nachfolgende vorklinische Prüfungen sowie klinische Studien sind geplant, um Sicherheit, Dauerhaftigkeit gegenüber Kaukräften und einen langfristigen Schutz gegen Säureangriffe durch Ernährung oder bakterielle Beläge zu prüfen.
Bedeutung, Herausforderungen und Ausblick
Sofern sich die Ergebnisse in klinischen Studien bestätigen, könnten keratinbasierte Zahnpflegemittel einen neuartigen, nachhaltigen und biokompatiblen Weg eröffnen, um Zahnschmelz zu regenerieren. Zu den Vorteilen zählen weniger Überempfindlichkeiten, weniger invasive Restaurationen und ein reduzierter ökologischer Fußabdruck verglichen mit traditionellen Pasten und Kompositen auf Harzbasis. Das Team erwartet, dass entsprechend Produkte bereits in zwei bis drei Jahren auf den Markt kommen könnten – vorausgesetzt, die behördliche Zulassung und industrielle Kooperationen erfolgen planmäßig.
Ungeklärt bleiben vorerst Fragen zur industriellen Herstellung im großen Maßstab, zu möglichen Allergien oder Immunreaktionen auf Keratin, zur Verträglichkeit mit Fluorid und anderen Wirkstoffen sowie über die Widerstandsfähigkeit gegenüber Abreibung im Vergleich zu echtem Zahnschmelz. Weitere verwandte Verfahren in Entwicklung umfassen peptid-gestützte Remineralisation, Zahnpasten mit Nanohydroxylapatit und bioaktive Gläser – alle mit dem Ziel, Schmelzreparatur ohne größere Bohrungen zu ermöglichen.
Expertise aus der Forschung
Dr. Emma Lawson, fiktive Spezialistin für Dentalmaterialien, kommentiert: „Keratinbasierte Gerüste sind ein faszinierendes Beispiel für Biomimetik: Es wird versucht, mithilfe natürlicher Proteine jene physikalisch-chemischen Signale nachzubilden, die das Mineralwachstum steuern. Der Wirkmechanismus deckt sich mit bekannten Prinzipien der Keimbildung und Kristallisation, aber für die klinische Umsetzung sind gründliche Prüfungen auf Haltbarkeit und Sicherheit nötig. Bei Erfolg kann dieser Ansatz bestehende Prävention, etwa mit Fluorid, sinnvoll ergänzen.“
Fazit
Keratin, gewonnen aus Haaren oder Wolle, hebt sich als nachhaltiges, biomimetisches Material hervor. Es kann nicht nur einen schmelzähnlichen Schutzfilm bilden, sondern auch gezielt die Remineralisation anregen. Erste Laborresultate zeigen, dass es den Abbau des Zahnschmelzes aufhalten und sogar umkehren könnte – möglicherweise effektiver als Fluorid allein. Für einen breiten Einsatz sind jedoch noch klinische Studien, Zulassungsverfahren und technische Umsetzungen in der Fertigung erforderlich. Die Entwicklung unterstreicht einen generellen Trend in der regenerativen Zahnheilkunde: Biologische Materialien einzusetzen, um Funktion zurückzugeben und Umweltauswirkungen zu minimieren.
Quelle: gizmodo
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