Alfa Romeo verschiebt Elektro-Umstieg — Giulia & Stelvio

Alfa Romeo hat den vollständigen Elektro-Umstieg verschoben: Giulia und Stelvio bleiben bis 2027 in Produktion. Der Artikel erklärt Hintergründe, Plattformstrategien, Motoroptionen und die Rolle des Cassino‑Werks.

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Alfa Romeo verschiebt Elektro-Umstieg — Giulia & Stelvio

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Alfa Romeo verschiebt kompletten Elektro-Umstieg — Giulia und Stelvio bleiben

Alfa Romeo hat seinen Fahrplan für den vollständigen Umstieg auf batterieelektrische Fahrzeuge verschoben und angekündigt, dass die Verbrennerversionen der Giulia und Stelvio bis mindestens 2027 in Produktion bleiben. Bei der Präsentation des Facelifts des Tonale bestätigte CEO Santo Ficili die Entscheidung: Die bisherige Zielmarke 2027 für die vollständige Elektrifizierung sei angesichts der aktuellen Marktnachfrage und der wirtschaftlichen Lage der Marke zu ambitioniert.

Diese Maßnahme ist Teil eines breiteren Umdenkens innerhalb von Stellantis. Anstatt die derzeitigen, auf der Giorgio-Architektur basierenden Giulia- und Stelvio-Modelle zu früh abzuschreiben, wird Alfa Romeo die ICE-Varianten weiter anbieten und parallel daran arbeiten, Nachfolgemodelle zu entwickeln, die künftig sowohl Verbrennungs- als auch batterieelektrische Varianten bieten können. Diese Vorgehensweise soll die wirtschaftliche Stabilität der Marke sichern und gleichzeitig Zeit für die technische Entwicklung neuer Plattformen und Antriebskonzepte gewinnen.

Was von den weitergeführten Modellen zu erwarten ist

Ein komplettes Redesign ist in den kommenden zwei Jahren nicht zu erwarten. Sowohl die Giulia (Baureihe 952) als auch der Stelvio werden größtenteils unverändert bis 2027 weitergebaut, wobei nur dezente Überarbeitungen geplant sind. Die sichtbarste Änderung wird eine leicht überarbeitete Frontpartie sein: Neue Sicherheitsvorschriften, die im Juli 2026 in Kraft treten, werden die bisherige seitlich versetzte Kennzeichenaufnahme von Alfa Romeo überflüssig machen und eine moderate Überarbeitung der Stoßfänger erforderlich machen.

Wesentliche Punkte und erwartete Maßnahmen:

  • Die Produktion beider Modelle bleibt im historischen Werk von FCA in Cassino (Italien), einem Standort mit umfangreicher Erfahrung in der Herstellung sportlicher Mittelklassefahrzeuge.
  • Erwartet werden Sondereditionen und limitierte Auflagen, um das Interesse von Kunden und Enthusiasten aufrechtzuerhalten und Werkskapazitäten effizient zu nutzen.
  • Für die aktuelle Giorgio-basierte Baureihe sind keine Hybrid-Upgrades geplant; diese Varianten bleiben bis zum Erscheinen der offiziellen Nachfolger rein verbrennungsmotorisch (ICE).
  • Leichte optische Retuschen, neue Lackoptionen, Materialien im Interieur und erweiterte Individualisierungspakete werden voraussichtlich eingesetzt, um das Modellprogramm attraktiv zu halten.

Damit verfolgt Alfa Romeo eine kurzfristig pragmatische Strategie: vorhandene Stärken konservieren, Produktionskapazitäten nutzen und gleichzeitig die technische Plattform für eine spätere Mischstrategie aus Verbrenner- und Elektrofahrzeugen vorbereiten.

Cassino, Giorgio-Plattform und der weitere Fahrplan

Die Giulia brachte 2015 die Giorgio-Plattform ein, eine chassis-orientierte, heckbetonte Architektur, die auch der Stelvio teilt. Varianten der Giorgio-Architektur bilden die Basis mehrerer Stellantis-Modelle, darunter Maseratis Grecale und GranTurismo sowie bestimmte Fahrzeugversionen des Jeep Grand Cherokee. Langfristig sollen diese Fahrwerkskonzepte schrittweise auf die modulare STLA Large-Architektur von Stellantis migrieren, um Skalenvorteile und technische Konsistenz über Marken hinweg zu erreichen.

Die STLA Large-Plattform wird aktuell in zwei Hauptvarianten angeboten: eine transverse Ausführung, die sich für größere SUV mit front- oder teilweiser Allradkonfiguration eignet (Beispiele sind Jeep Wagoneer S und Recon), sowie eine longitudinal angelegte Architektur, wie sie bei leistungsorientierten Limousinen und sportlichen Modellen eingesetzt wird (beispielsweise bei manchen Dodge-Modellen). Für die künftigen Giulia- und Stelvio-Nachfolger wird allgemein erwartet, dass Alfa Romeo eine longitudinal konfigurierte STLA Large-Version verwenden wird, um die für die Marke charakteristische Frontmotor-/heckbetonte Dynamik zu bewahren.

Die Umstellung auf STLA Large bietet technische Vorteile, darunter bessere Integration von Hochvoltbatterien, skalierbare Elektrik- und Elektronikarchitekturen (z. B. zentrales Domain-Controller-Management), sowie die Möglichkeit, verschiedene Antriebsstränge (rein elektrisch, Range-Extender, Plug-in-Hybrid und konventionelle ICE) mit vergleichsweise geringem Zusatzaufwand zu realisieren. Das Vorgehen erlaubt zudem, gemeinsame Elektronikkomponenten und Softwarelösungen markenübergreifend zu nutzen, was Software-defined-vehicle-Strategien (SDV) und Over-the-Air-Updates erleichtert.

Motoren, Performance und technische Perspektiven

Alfa Romeo prüft für die nächste Modellgeneration verschiedene Sechszylinder-Optionen, doch eine endgültige Entscheidung steht noch aus. Als Kandidaten werden mehrfach genannt:

  • Eine aktualisierte Variante des aktuellen, von Ferrari abgeleiteten 2,9‑Liter-V6, sofern dieser Motor Euro‑7-konform gemacht werden kann. Die Herausforderung besteht darin, die Emissionen zu senken, ohne die sportlichen Alleinstellungsmerkmale zu verlieren.
  • Ein V6 auf Basis des Maserati‑Nettuno‑Motors, der hohe Performance‑Gene mitbringen würde und die Nähe zwischen Alfa Romeo und der sportlichen Maserati‑Technik stärker betonen könnte.
  • Die Reihensechszylinder-Variante aus dem Dodge Charger mit Twin‑Turbo‑Aufladung, die in ihrer derzeitigen Abstimmung rund 550 PS und etwa 720 Nm Drehmoment liefert; technisch interessant wegen ihrer Robustheit und Leistungsentfaltung.

Für den Kontext: Die Quadrifoglio‑Spezialmodelle wie Giulia GTA und GTAm verwendeten eine hochgezüchtete Version (690T) mit rund 533 PS und 600 Nm Drehmoment. Diese Sondermodelle waren limitiert auf 500 Einheiten und sind in den USA nach dem Modelljahr 2024 nicht mehr angeboten worden, bleiben aber in Europa erhältlich. Preise lagen für die Giulia Quadrifoglio oberhalb von 89.000 Euro und für den allradgetriebenen Stelvio Quadrifoglio nahe 97.000 Euro, was die Positionierung als Premium‑Performance‑Fahrzeuge unterstreicht.

Die technische Umsetzung künftiger Benzinmotoren wird stark von den Euro‑7‑Emissionsvorgaben sowie nationalen und regionalen Gesetzgebungen abhängen. Maßnahmen wie optimierte Abgasnachbehandlung, 48‑Volt‑Mildhybrid‑Integration zur Reduzierung von Verbrauchsspitzen, Partikel‑ und NOx‑Kontrolle sowie verbesserte Thermomanagement‑Strategien sind mögliche Hebel, um klassische Verbrenner länger marktfähig zu halten. Gleichzeitig gilt: je strenger die Emissionsgrenzen, desto höher der Aufwand und die Kosten für die Weiterentwicklung von Hochleistungsmotoren, weshalb manche Hersteller auf synthetische Kraftstoffe (eFuels) oder Hybridlösungen setzen.

Neben reinen Verbrenner‑Optionen bleibt denkbar, dass Alfa Romeo für bestimmte Märkte Plug‑in‑Hybrid‑Konfigurationen prüft, um lokale Flottenziele zu erreichen. Allerdings betonte das Unternehmen, dass für die derzeitige Giorgio‑Baureihe keine Hybrid‑Upgrades vorgesehen sind — stattdessen konzentriert man sich auf die Entwicklung komplett neuer Plattformen und Antriebsstränge für die Nachfolger.

Marktpositionierung und strategische Überlegungen

Die Entscheidung, Produktion und Verkauf der Giulia und des Stelvio zu verlängern, ist sowohl taktisch als auch finanziell motiviert. Die Verkaufszahlen dieser sportlich ausgerichteten, heckbetonten Modelle lagen in den letzten Jahren hinter denen von frontgetriebenen oder frontbetonten Crossovern wie dem Tonale oder kleineren Modellen der sogenannten Junior-Klasse zurück. Angesichts der Nachfrageverschiebung zum SUV‑Segment wäre ein teurer und frühzeitiger Neubau der Modellreihe wirtschaftlich riskant.

Stattdessen setzt Alfa Romeo auf schrittweise Überarbeitungen, limitierte Editionen und die Nutzung der Produktionskapazitäten im Cassino‑Werk, um das Interesse der Marke aufrechtzuerhalten. Diese Strategie hat mehrere Vorteile: sie reduziert kurzfristige Investitionskosten, erhält die Produktionsauslastung und ermöglicht gleichzeitig eine sorgfältigere Planung der Elektrifizierungsstrategie, einschließlich einer wirtschaftlicheren Einführung neuer Plattformen auf Basis von STLA Large.

Ein Unternehmenssprecher wies darauf hin, dass die Marke die Erwartungen von Enthusiasten — insbesondere in Bezug auf Performance, Fahrdynamik und Markencharakter — mit regulatorischen Anforderungen wie Euro 7 und neuen Sicherheitsrichtlinien in Einklang bringen müsse. Dieses Spannungsfeld beeinflusst Motorenwahl, Timing für die Einführung vollelektrischer Modelle und die Gesamtkalkulation für Nachfolgemodelle.

Aus Markt‑ und Markenperspektive ist wichtig zu verstehen, dass Alfa Romeo eine sehr spezifische Nische bedient: Kunden, die fahrdynamische Eigenschaften, Balance und ein sportliches Fahrerlebnis suchen. Während viele Wettbewerber ihr Portfolio zugunsten profitablerer SUV‑Segmente umgestellt haben, versucht Alfa Romeo, die Verbindung zwischen Tradition (heckbetonte Fahrdynamik, direkte Lenkung) und moderner Technologie (STLA, Elektrifizierung) zu erhalten.

Die verlängerte Lebenszeit der bestehenden Baureihe gibt Alfa Zeit, Zulieferketten zu stabilisieren — etwa für Halbleiter, Leistungselektronik und Hochvoltkomponenten — und die Software‑ und Elektrikarchitektur zu entwickeln, die nötig ist, um komplexe, markenübergreifende Funktionen sicher und effizient bereitzustellen. Ebenso kann das Unternehmen besser planen, in welchen Märkten eine beschleunigte Elektrifizierung nötig ist und wo konventionelle Antriebe noch eine relevante Nachfrage haben.

Ausblick und zentrale Erkenntnisse

Die Verlängerung der Produktion von Giulia und Stelvio ist ein pragmatischer Schritt, um Alfa Romeo Übergangszeit zu verschaffen. Das Unternehmen kauft sich Zeit, um Nachfolger zu entwickeln, die Verbrennungsmotoren und Elektrifizierung in einer flexiblen Architektur kombinieren können. So sollen künftige Modelle sowohl den Enthusiastenanspruch an Fahrdynamik erfüllen als auch strengere Emissions- und Sicherheitsvorgaben einhalten.

Fans der heckbetonten Fahrdynamik von Alfa Romeo erhalten dadurch weitere zwei Jahre, um die aktuelle Giorgio-Plattform zu erleben. Gleichzeitig werden Liebhaber und potenzielle Käufer mit Sondermodellen, optischen Auffrischungen, überarbeiteten Interieuroptionen und limitierten Editionen versorgt, um die Attraktivität der Baureihe zu erhalten. Diese Maßnahmen sollen nicht nur die Marke kurzfristig stärken, sondern auch die Basis legen für eine langfristig tragfähige Elektrifizierungsstrategie unter der Dachmarke Stellantis.

In der Summe zeigt die Entscheidung: Alfa Romeo priorisiert eine ausgewogene, technologieorientierte Transformation, die wirtschaftliche Realitäten, regulatorische Anforderungen und die Erwartungen der Kundschaft berücksichtigt. Die Kombination aus konservierter Modellpflege, gezielten Sondereditionen und der parallelen Entwicklung einer STLA-basierten Nachfolgeplattform erscheint als ein realistischer Weg, um Marke, Fahrkultur und technische Evolution in Einklang zu bringen.

Quelle: autoevolution

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