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Die meisten Empfehlungen im Bereich der öffentlichen Gesundheit fördern Obst und Gemüse als Grundbestandteile einer gesunden Ernährung. Für eine kleine Gruppe von Menschen kann jedoch der natürliche Zucker in vielen pflanzlichen Lebensmitteln — Fructose — lebensbedrohliche Reaktionen auslösen. Die hereditäre Fructoseintoleranz (HFI) ist eine seltene, vererbte Stoffwechselstörung, die lebenslange diätetische Maßnahmen und medizinische Aufmerksamkeit erfordert.
Was ist hereditäre Fructoseintoleranz und wie funktioniert sie?
Die hereditäre Fructoseintoleranz ist eine genetische Erkrankung, die durch Mutationen im ALDOB-Gen verursacht wird, das für das Enzym Aldolase B kodiert. Aldolase B ist essentiell für den Abbau von Fructose in Leber, Nieren und Dünndarm. Fehlt eine funktionelle Aldolase B, sammelt sich Fructose beziehungsweise Fructose-1-phosphat in den Zellen an, stört normale Stoffwechselwege und kann Zellen sowie Organe schädigen.
Auf biochemischer Ebene führt die Akkumulation von Fructose-1-phosphat zu einer Einsperrung von Phosphat, Hemmung der Glukoneogenese und Glykogenolyse sowie zu einem ATP-Mangel in der Leber. Diese Prozesse erklären typische Befunde wie Hypoglykämie (niedriger Blutzucker), erhöhte Leberenzyme und im schlimmsten Fall Leberversagen. Kurzfristig kann dies zu Übelkeit und Erbrechen führen; langfristig sind Leberfibrose, Zirrhose und Nierenbeteiligung möglich, wenn die Erkrankung nicht erkannt und behandelt wird.
Fructose kommt nicht nur in ganzen Früchten und Honig vor, sondern auch in vielen verarbeiteten Lebensmitteln, gesüßten Getränken, einigen Milchprodukten und sogar in Arzneimitteln oder Zahnprodukten, die Zuckeraustauschstoffe wie Sorbitol verwenden. Saccharose (Haushaltszucker) und Sorbitol setzen während der Verdauung Fructose frei beziehungsweise werden zu Fructose umgewandelt. Deshalb müssen Menschen mit HFI auch diese Substanzen vermeiden.
Aus klinischer Sicht ist es wichtig, die molekulare Grundlage zu verstehen: Mutationen im ALDOB-Gen sind typischerweise autosomal-rezessiv vererbt. Das bedeutet, dass eine betroffene Person zwei defekte Allele benötigt, eines von jedem Elternteil. Heterozygote Träger sind meistens gesund, können aber für genetische Beratung relevant sein.
Symptome: frühe Hinweise und Erscheinungsbilder im Erwachsenenalter
HFI zeigt sich am häufigsten, wenn Säuglinge mit dem Zufüttern beginnen und Früchte, Fruchtpürees oder gesüßte Breie erhalten. Frühe Zeichen sind Erbrechen, ungewöhnliche Schläfrigkeit, Reizbarkeit, Nahrungsverweigerung gegenüber süßen Speisen und mangelnde Gewichtszunahme. Manche Kinder entwickeln instinktiv eine Abneigung gegen Süßes, was die Diagnose verschleiern kann.
Bei nicht diagnostizierten Erwachsenen können die Symptome anders aussehen. Chronische Bauchschmerzen, ständige Müdigkeit, unerklärliche Hypoglykämien, auffällige Leberwerte oder eine unerwartete Lebervergrößerung können die einzigen Hinweise sein. Da diese Anzeichen mit anderen Stoffwechsel- oder Lebererkrankungen überlappen, wird HFI bisweilen fälschlich als Glykogenspeicherkrankheit, wiederkehrende Hepatitis oder sogar als Essstörung eingestuft.
Weitere klinische Begleiterscheinungen können sein: wiederkehrende Hypoglykämien nach Fructose-Exposition, Laktatazidose nach schweren Episoden, Gedeihstörungen bei Kindern sowie—bei langfristiger unkontrollierter Exposition—Leberfibrose und Nierenfunktionsstörungen. Die Schwere der Symptome hängt von der Menge der aufgenommenen Fructose, dem Alter beim Erstkontakt und der Genotyp-Phänotyp-Korrelation ab.

Für Menschen mit hereditärer Fructoseintoleranz können bereits wenige Bissen saftiger Wassermelone ernsthafte gesundheitliche Probleme verursachen.
Wie sich HFI von Allergien und milderen Zuckerstörungen unterscheidet
Es ist wichtig, HFI klar von immunvermittelten Nahrungsmittelallergien und weniger schweren Malabsorptionssyndromen zu unterscheiden.
- Nahrungsmittelallergie: beinhaltet eine Immunreaktion (z. B. Urtikaria, Schwellung der Atemwege, Anaphylaxie). HFI ist nicht immunologisch bedingt.
- Fructosemalabsorption (manchmal als diätetische Fructoseintoleranz bezeichnet): ein gastrointestinales Problem, bei dem der Dünndarm Fructose schlecht resorbiert. Symptome sind Blähungen, Flatulenz und Bauchschmerzen, jedoch fehlen die schweren metabolischen und Organveränderungen, wie sie bei HFI auftreten.
- Laktoseintoleranz oder nicht-zöliakische Glutenempfindlichkeit: verursachen Unbehagen, aber nicht die systemischen metabolischen Entgleisungen, die für HFI charakteristisch sind.
Die Unterscheidung ist klinisch relevant, da die Therapie sich unterscheidet: Bei Fructosemalabsorption kann eine partielle Reduktion der Fructose hilfreich sein, während bei HFI eine strikte lebenslange Eliminationsdiät gegen Fructose, Saccharose und Sorbitol notwendig ist, um akute Krisen und langfristige Organschäden zu verhindern.
Diagnose der Erkrankung: Tests und Fallstricke
Die Bestätigung von HFI erfordert gezielte diagnostische Verfahren. Genetische Testung kann Mutationen im ALDOB-Gen identifizieren und gilt heute als bevorzugter diagnostischer Weg. Früher wurden spezialisierte Fructose-Toleranztests oder Enzymaktivitätsbestimmungen durchgeführt, aber genetische Sequenzierung bietet einen sichereren und definitiveren Ansatz ohne das Risiko, den Patienten einer potenziell gefährlichen Fructose-Provokation auszusetzen.
Biochemisch können Laborbefunde Hinweise liefern: erhöhte Serumtransaminasen, Hypoglykämien nach Fructoseexposition, und gelegentlich metabolische Azidose. Traditionelle Fructose-Toleranztests, bei denen Fructose oral verabreicht und der Blutzucker beobachtet wird, bergen das Risiko schwerer Hypoglykämie und werden heute weitgehend vermieden. Enzymassays aus Lebergewebe waren früher Goldstandard, sind jedoch invasiv und werden durch die molekulargenetische Diagnostik ersetzt.
Da die Symptome bei älteren Kindern und Erwachsenen subtil oder atypisch sein können, benötigen Kliniker einen kritischen Blick. Anhaltend erhöhte Leberenzyme unklarer Ursache, wiederkehrende Hypoglykämien ohne offensichtlichen Auslöser oder eine ausgeprägte kindliche Abneigung gegen Süßes sollten HFI in die Differenzialdiagnose aufnehmen und zur genetischen Beratung und Testung führen. Eine umfassende Anamnese, inklusive Fragen zu Lebensmittelpräferenzen und Reaktionen auf bestimmte Nahrungsmittel, ist oft wegweisend.
Genetische Testverfahren umfassen gezielte Variantenanalyse, Sequenzierung des ALDOB-Gens (Sanger- oder Next-Generation-Sequencing) und, wenn nötig, Kopienzahlanalysen. Das Erkennen häufiger Mutationen kann die Teststrategie leiten; in Populationen mit bekannten Prävalenzmustern können Paneltests sinnvoll sein. Bei positivem Befund sollten Eltern und Familienmitglieder über Trägerstatus, Reproduktionsrisiken und Möglichkeiten der pränatalen oder prädiktiven Diagnostik aufgeklärt werden.
Umgang mit dem Alltag bei hereditärer Fructoseintoleranz
Eine Heilung für HFI gibt es derzeit nicht, aber eine strikte und gut informierte diätetische Vermeidung von Fructose, Saccharose und Sorbitol verhindert akute metabolische Krisen und langfristige Organschäden. Viele Betroffene führen nach Anpassung ihrer Ernährung ein normales, gesundes Leben; entscheidend sind jedoch sorgfältiges Lesen von Zutatenlisten, Lebensmittelauswahl und anhaltende Wachsamkeit.
Wichtig ist ein interdisziplinäres Management: Hausärzte, Kinderärzte, Stoffwechselspezialisten, Diätassistenten und Laborärzte sollten zusammenarbeiten. Regelmäßige Kontrollen der Leberfunktion, des Wachstums bei Kindern, der Nierenfunktion und des Ernährungsstatus (inklusive Mikronährstoffen) sind Bestandteil der Routineversorgung. Bei symptomatischen Expositionen müssen Patienten und Familien wissen, wie sie akut reagieren: rasche Aufnahme von Glukose (nicht Fructose), ärztliche Bewertung und gegebenenfalls stationäre Betreuung sind nötig.
Lebensmittel und Produkte, die zu vermeiden oder sorgfältig zu prüfen sind
- Alle Früchte, Fruchtsäfte, Dosen- oder Trockenfrüchte sowie fruchtbasierte Produkte.
- Jegliche Lebensmittel mit Saccharose (Haushaltszucker), hochfructosehaltigem Maissirup, Honig, Melasse oder Fruchtkonzentraten.
- Süße Gemüsesorten: Erbsen, Mais, Rote Bete, Karotten, Kürbis, Süßkartoffeln und bestimmte Zucchinivarianten.
- Verarbeitete und marinierte Fleischwaren (Aufschnitt, Würstchen), viele Soßen, Dressings und einige Milchgetränke (z. B. Schokomilch).
- Produkte mit Sorbitol oder anderen Zuckeralkoholen (gefunden in manchen Kaugummis, Zahnpasten und Medikamenten).
Sichere Grundnahrungsmittel umfassen in der Regel einfache Getreideprodukte (Reis, Nudeln ohne Zusatz von Süßstoffen, Quinoa), ungesüßte Milchprodukte oder Naturjoghurt, die meisten nicht gesüßten Proteine (Fleisch, Fisch, Eier, Hülsenfrüchte) und viele Gemüsesorten mit geringem natürlichem Zuckeranteil. Allerdings ist die individuelle Verträglichkeit nicht das Maß der Therapie: Bei HFI sind die Regeln restriktiv und standardisiert.
Die Zusammenarbeit mit einem auf Stoffwechselerkrankungen spezialisierten Diätassistenten ist entscheidend, um ausgewogene, nährstoffreiche Menüs zu entwickeln, die den Energie- und Mikronährstoffbedarf decken, ohne den Patienten versteckter Fructose auszusetzen. Spezielle Ernährungsberatung sollte auch schulische Mahlzeiten, Reisen und Notfallsituationen abdecken.
Bei versehentlicher Aufnahme von Fructose ist das Notfallmanagement auf rasche Glukosezufuhr und klinische Überwachung ausgerichtet. Wichtig ist auch, auf die Verabreichung intravenöser Lösungen zu achten: Lösungen, die Fructose oder Sorbitol enthalten, müssen vermieden werden.
Öffentliche Gesundheit, Bewusstsein und Screening
HFI betrifft schätzungsweise etwa 1 von 10.000 Personen und folgt einem autosomal-rezessiven Vererbungsmuster — das heißt, ein Kind muss von beiden Elternteilen eine nicht funktionelle ALDOB-Variante erben, um die Erkrankung zu entwickeln. Ein größeres Bewusstsein unter Kinderärzten, Hausärzten und Diätassistenten könnte die oft langwierige Phase bis zur richtigen Diagnose deutlich verkürzen.
Eltern, die eine ausgeprägte Abneigung ihres Kindes gegen Süßes, wiederholtes Erbrechen nach Fruchtverzehr oder schlechtes Wachstum bemerken, sollten dies mit dem behandelnden Arzt besprechen. Bei Erwachsenen mit unerklärlichen Leberanomalien oder wiederkehrender Hypoglykämie kann die Berücksichtigung von HFI in der Differenzialdiagnose Komplikationen vermeiden.
Ein systematisches Neugeborenen-Screening auf HFI ist derzeit nicht Routine, da die Erkrankung selten ist und die Testverfahren spezifische Herausforderungen haben. Forschung und Gesundheitspolitik prüfen jedoch, ob gezielte Screeningprogramme in Hochprävalenz-Gruppen oder Familien sinnvoll sein könnten. Ergänzend können prädiktive genetische Tests bei bekannten Familienmutationen angeboten werden.
Expertinnen- und Experteneinschätzung
„Die hereditäre Fructoseintoleranz ist selten, ihre Folgen können bei Nichtbeachtung jedoch schwerwiegend sein“, sagt Dr. Maria Jensen, Stoffwechselgenetikerin. „Frühe Erkennung und ein koordiniertes Vorgehen — genetische Diagnostik, diätetische Betreuung und regelmäßige Leberkontrollen — verändern die Prognose maßgeblich. Viele Patientinnen und Patienten berichten von einer deutlichen Besserung, sobald versteckte Fructosequellen eliminiert werden.“
Dr. Jensen ergänzt: „Kliniker sollten daran denken, dass einfache Fragen zu Essvorlieben — vermeidet das Kind Süßes? — wichtige diagnostische Anhaltspunkte liefern können. Und weil Fructose in vielen Fertigprodukten versteckt ist, brauchen Familien praktische Fähigkeiten im Etikettenlesen, nicht nur eine Liste verbotener Lebensmittel.“
Worauf Forscherinnen und Forscher als Nächstes achten
Die aktuelle Forschung zu erblichen Stoffwechselerkrankungen wie HFI konzentriert sich darauf, genetische Screenings zu verbessern, Ernährungsempfehlungen zu verfeinern und edukative Werkzeuge für Betroffene, Familien und Fachpersonal zu entwickeln. Obwohl eine Enzymersatztherapie oder eine Gentherapie für HFI derzeit noch nicht verfügbar ist, machen Fortschritte in der Genom-Editierung (z. B. CRISPR) und in zielgerichteten Therapien für Stoffwechselkrankheiten zukünftige Interventionen denkbar.
Weitere Forschungsbereiche umfassen die Langzeitfolgen selbst bei diätetisch gut kontrollierten Patientinnen und Patienten, die optimale Überwachung von Leber- und Nierenfunktion, psychologische Auswirkungen von Diätrestriktionen und die Entwicklung von klaren, evidenzbasierten Ernährungsempfehlungen. Klinische Studien zur Sicherheit neuer therapeutischer Ansätze sowie zur Validierung von Biomarkern für Früherkennung sind in Planung oder bereits gestartet.
Bis dahin bleibt die Kombination aus genetischer Diagnose, individuell angepasster Ernährung und kontinuierlicher klinischer Überwachung die effektivste Strategie, um akute Krisen und langfristige Schädigungen von Leber oder Niere zu verhindern. Auf systemischer Ebene sind Informationskampagnen, Fortbildungen für medizinisches Personal und bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln zentrale Maßnahmen, um die Versorgung und Lebensqualität von Menschen mit HFI zu verbessern.
Zusammengefasst: Hereditäre Fructoseintoleranz ist eine seltene, aber ernsthafte Stoffwechselstörung. Frühzeitige diagnostische Abklärung, eine sorgfältig angepasste Ernährung und interdisziplinäre Betreuung ermöglichen den meisten Betroffenen ein normales, aktives Leben. Praxisnahe Aufklärung, verlässliche Etikettierung von Lebensmitteln und Zugang zu genetischer Beratung sind Schlüsselelemente moderner Versorgungsqualität.
Quelle: sciencealert
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