14 Minuten
Auf der 13. Ausgabe der Startup Fair 2025 füllte sich die Hauptbühne der LITEXPO in Vilnius, um einer Masterclass des Unternehmertums zu lauschen: Uri Levine, Mitgründer von Waze und Moovit, sprach über den Weg zu Hypergrowth und darüber, was nötig ist, um aus einer Idee ein Milliardenunternehmen zu formen. Seine Keynote „Building Unicorns: The Path to Hypergrowth“ war persönlich, ungeschönt und voll mit praktischen Lektionen, Misserfolgs-Stories und Einsichten, wie aus einer leeren Karte von Tel Aviv ein globaler Mobilitäts-Riese wurde.
Wer Uri Levine ist – kurz, persönlich, relevant
Bevor Uri die Bühne betrat, erinnerte der Moderator das Publikum daran, die Agenda in der B2Match-App zu prüfen und Fragen fürs Q&A einzureichen. Uri begann mit einer einfachen Frage an den Saal: Wer nutzt Waze? Wer ist Unternehmer? Viele Hände gingen hoch. Er stellte sich selbst als „Builder“ vor – jemand, der Unternehmen baut, zuletzt Waze und Moovit – und als Lehrer, der gerne sein Wissen weitergibt. Sein Buch „Fall in Love with the Problem, Not the Solution“ nannte er einen Versuch, Gründer mit praktischem Know-how auszustatten. Steve Wozniak habe es ein „Bibel“-Werk genannt, so Uri mit einem Lächeln.
Ein wiederkehrender Punkt: Er versucht, alle E-Mails zu beantworten. Er erzählte die Anekdote, dass ein Netflix-Mitgründer einst „This will never work“ schrieb – eine Aussage, die viele Gründer kennen. Wenn Sie Gründer sind, so Uri, haben Sie diese Phrasen schon gehört. Wenn nicht, dann werden Sie sie hören.
Wo Unternehmertum wirklich beginnt: Leidenschaft als Motor
Unternehmertum startet nicht mit Business-Plänen, sondern mit emotionaler Bindung. Entweder lieben Sie etwas, oder Sie hassen ein Problem so sehr, dass Sie es lösen müssen. Bei Uri war es der Hass auf Staus. Die Idee wächst, die Leidenschaft steigt, bis Sie sich verpflichten. Das Gründerleben ist ein Auf und Ab, ein Achterbahnritt mit extremer Anstrengung und unsicheren Belohnungen.
Uri zitierte Ben Horowitz: Auf die Frage, ob er als CEO gut schläft, antwortete Horowitz, er schlafe wie ein Baby – alle zwei Stunden aufwachend und weinend. Dieses Bild illustriert, dass Gründer nicht bloß eine Idee verfolgen, sondern eine Verantwortung tragen, die persönliche Opfer erfordert.
Die Liebe zur Aufgabe: Wie man sich auf eine Idee einlässt
Uri verglich die Entscheidung, ein Startup zu gründen, mit Verlieben. Sie testen viele Ideen wie beim Dating; eine bleibt. Anfangs möchten Sie jede Minute damit verbringen: über das Problem nachdenken, über die Lösung, die nächste Aufgabe, die Vision für zehn Jahre. Wenn Sie die Idee teilen, ist die erste Reaktion oft: „Das wird nie funktionieren.“ Manche reagieren deutlich schroffer. Genauso wie in einer neuen Beziehung kann das zu einer inneren Abgrenzung von Skeptikern führen.
Diese Liebe ist zweischneidig: Sie gibt die nötige Energie, lässt Sie aber auch blind gegenüber Kritik werden. Dennoch brauchen Sie sie, weil die Reise härter ist, als alles, was Sie vorher erlebt haben.
Beginnen Sie mit dem Problem, nicht mit der Lösung
Uri betonte: Finden Sie ein großes, relevantes Problem. Fragen Sie: Wer hat dieses Problem? Ist es nur mein persönliches Problem? Dann eher zu einem Therapeuten als zum Startup-Gründer – ein kleiner Scherz, der einen ernsten Punkt trifft. Wenn viele Menschen dasselbe Problem haben, sprechen Sie mit ihnen, verstehen Sie ihre Wahrnehmung, bevor Sie eine Lösung entwickeln.
Starten Sie nicht aus Liebe zur Technologie, sondern aus Liebe zum ungelösten Bedürfnis. Das Problem ist Ihr Nordstern – es hält das Produktteam auf Kurs und macht Ihre Geschichte für Kunden verständlich. 2007 war es abstrakt zu sagen, man baue ein „AI-gestütztes, crowdsourctes Navisystem“. Deutlich relevanter war: „Wir helfen Ihnen, Stau zu vermeiden.“ Wenn Kunden betroffen sind, unterstützen sie Sie aktiv.
Fehler akzeptieren und schnell scheitern
Wenn Sie etwas Neues schaffen, wissen Sie nicht im Voraus, was funktioniert. Sie probieren, scheitern, testen neu. Uri zieht zwei Konsequenzen: Wer Angst hat zu scheitern, hat de facto schon versagt, weil er nichts riskiert. Wenn Sie Neues ausprobieren, werden Sie scheitern. Darum gilt: Fail fast – scheitern Sie schnell, lernen Sie schnell, iterieren Sie schneller.
Schnelles Scheitern bedeutet, dass Sie Zeit haben, weitere Hypothesen zu testen – sei es an Produktvarianten oder an Go-to-Market-Ansätzen. Jede neue Iteration erhöht die Chance, auf ein funktionierendes Modell zu stoßen.
Die Wüste ohne Traktion: der längste, härteste Abschnitt
Es gibt eine lange Phase, in der man alles probiert und trotzdem nichts funktioniert. Diese „Wüste“ verlässt man erst mit Produkt-Markt-Fit. Bei Waze dauerte das etwa vier Jahre. Bei Microsoft waren es fünf, Netflix zehn. Auch OpenAI benötigte Jahre, bevor die breite Öffentlichkeit die Technologie wahrnahm.
Produckt-Market-Fit lässt sich einfach definieren: Sie schaffen echten Kundennutzen. Metrik Nr. 1 ist Retention. Kommen Nutzer wieder? Wenn nicht, schaffen Sie keinen nachhaltigen Wert. Iterieren Sie weiter, bis Nutzer tatsächlich zurückkehren.
Wie Waze die Karte aus GPS-Spuren baute
Das eigentlich Magische an Waze war nicht nur das Crowdsourcing von Verkehrsinformationen, sondern das Crowdsourcing der Karte selbst. Die Anfangskarte von Tel Aviv war weiß – quasi ein leeres Blatt. Das System sammelte GPS-Tracks vom ersten Fahrer, dann vielen weiteren. Überlagerte Spuren zeigten, wo Straßen liefen. Eine dichte Schleife deutete auf einen Kreisverkehr. Unterschiede in Dichte halfen, Hauptstraßen von Nebenstraßen zu unterscheiden.
War an einer Kreuzung nie eine Linksabbiegung zu sehen, war vermutlich kein Linksabbiegen erlaubt. Wenn hundert Fahrer in eine Richtung fuhren und niemand in die andere, deutete das auf eine Einbahnstraße hin. Uri scherzte, dass in Tel Aviv manchmal hundert gegen zwei Richtungspuren einfach eine „Tel-Aviv-Einbahnstraße“ bedeuteten. Bei der globalen Expansion mussten diese Schwellenwerte regional angepasst werden – Neapel verhielt sich anders als Tel Aviv.
Wenn Sie einen Prozess beschreiben können, können Sie ihn programmieren. Waze schrieb Algorithmen, die GPS-Traces in eine brauchbare Karte umwandelten. Anfangs unvollständig, ermöglichten Editier-Tools das Hinzufügen von Straßennamen, Hausnummern und Points of Interest. Mit einer Basis-Karte konnten langsame Segmente Staus signalisieren; mit ausreichender Nutzerzahl ließ sich um Verkehrsbehinderungen routen. Hinzu kamen nutzergenerierte Meldungen über Blitzgeräte, Unfälle und Baustellen – täglicher Mehrwert für Pendler, die zwar ihre Route kannten, aber nicht „was gerade jetzt“ passiert.
Timeline: Prototyp, Launch, und das Durchhalten in Iterationen
Der erste Prototyp lief 2007 auf einem PDA, die Echtzeit-Version kam 2008 auf Nokia-Phones. Waze startete 2009 in Israel, global dann Ende 2009 / Anfang 2010. Anfangs funktionierte das System nur in einigen Regionen – Tschechien, Slowakei, die baltischen Staaten oder Ecuador hatten frühe Traktion; große Märkte wie die USA zeigten anfangs weniger Aufnahme.
Das Team sprach mit Fahrern, sammelte Feedback und baute die nächste Version. Manche Updates waren nur kleine Fortschritte, andere Rückschritte, die man zurücknehmen musste. Einige Iterationen führten zu Sprüngen. Nach mehr als einem Jahr kontinuierlicher Verbesserungen, Ende 2010 bis Anfang 2011, war Waze an mehreren Orten „gut genug“. Dann breitete sich das Wachstum wie ein Lauffeuer aus: in den USA Stadt für Stadt – Los Angeles, San Francisco, Washington, Atlanta, Miami, New York, Chicago – und in Europa: Italien, Schweden, Niederlande, Frankreich, Spanien und mehr. 2012 wuchs Waze schneller als die gesamte Navigationsbranche. 2013 kam Googles Übernahmeangebot. Waze akzeptierte; Uri verließ kurz darauf das Unternehmen.
Entscheidungen, die den Unterschied machen
War der Verkauf an Google richtig? Uri antwortete pragmatisch: Im Leben gibt es richtige Entscheidungen und Nicht-Entscheidungen. Man weiß nie, wie der andere Weg ausgegangen wäre. Vielleicht wäre Waze heute mehr wert, vielleicht aber wäre es ohne jene Entscheidung nicht das, was es wurde. Wenn Sie mit einer Entscheidung unzufrieden sind, treffen Sie eine neue. Entscheiden mit Überzeugung, besonders bei schwierigen Fragen, ist ein Kennzeichen erfolgreicher CEOs.
Sterne ausrichten: Was für ein Unicorn nötig ist
Ein Unicorn entsteht, wenn mehrere Faktoren zusammenkommen: Produkt-Markt-Fit in einem relevanten Markt, ein tragfähiges Geschäftsmodell mit Verständnis für Customer Lifetime Value, und skalierbares Wachstum. Manche Firmen haben von Anfang an einen „Coolness“-Faktor. Zu Beginn liegen diese Sterne getrennt – Ihre Aufgabe ist, sie nacheinander zu fixieren, angefangen beim Produkt-Markt-Fit.
Die ersten sieben Jahre folgen meist einem Muster: Find product-market fit, dann expandieren. Wenn Sie in einem kleinen Land starten, denken Sie automatisch global. In einem großen Inlandmarkt kann die Kultur entstehen zu bleiben und dort Komfort zu genießen. Kleine Länder wie Litauen, Estland, Lettland, Israel, Schweden oder die Niederlande haben den Vorteil, global zu denken.
Wert entsteht oft erst nach zehn Jahren
Die großen Tech-Geschichten zeigen es: Amazon und Google sind ~30 Jahre alt, Tesla und Facebook ~20. Airbnb, Shopify und andere sind jünger. Weniger als fünf Prozent des heutigen Werts dieser Unternehmen wurde in den ersten zehn Jahren geschaffen. Warum? Die ersten zehn Jahre sind geprägt von Produkt-Markt-Fit, Geschäftsmodell-Findung und initialem Wachstum. Erst danach kommt oft die echte Beschleunigung.
Unveränderte Lektionen: Zeitlose Regeln für Gründer
Uri sagte, seine Zusammenfassungs-Folie habe sich seit 2012 kaum verändert. Kernaussagen, die er wiederholte:
- Kennen Sie Ihre Nutzer und wie sie das Problem wahrnehmen. Hören Sie nie auf, über Nutzer nachzudenken.
- Umarme das Scheitern – fail fast und lerne schnell.
- Perfektion ist der Feind von „good enough“. Starten Sie unperfekt, lernen Sie vom Markt, iterieren Sie.
- Wer zuerst startet, bekommt echtes Feedback. Angst vor Markenrisiken oder frühem Image-Schaden ist anfangs irrelevant, weil Sie weder große Kunden noch eine starke Marke haben.
- Fall in love with the problem, not the solution.
- Fokus bedeutet auch, zu wissen, was man nicht macht. Waze konzentrierte sich auf Fahrer/Pendler – keine LKWs, keine Radfahrer, keine Fußgänger. Dieser Fokus machte das Team zur Besten in seiner Nische.
- Teams sind kritisch: Viele Gründer scheitern wegen falscher Teamzusammensetzung oder Ego-Konflikten. Wenn Probleme früh sichtbar sind, muss der CEO harte Entscheidungen treffen. Harte Entscheidungen steigen immer nach oben; wer sie vermeidet, verliert Top-Talente.
Firing before hiring – ein provokantes, praktisches Prinzip
Verleger wollten das Kapitel in Uris Buch „Hiring and Firing“ nennen. Er bestand auf „Firing and Hiring“. Kündigen ist die harte Entscheidung; einstellen ist vergleichsweise einfach. Uri rät, bei jeder Einstellung nach 30 Tagen die Frage zu stellen: Würde ich diese Person heute wieder einstellen, wissend, was ich jetzt weiß? Ist die Antwort Nein: trennen Sie sich sofort – beiden Seiten zuliebe. Ist die Antwort Ja: signalisieren Sie Überperformance und belohnen Sie sie, z. B. mit mehr Equity.
Verstehen der Nutzer – eine Geschichte mit Steve Wozniak
Uri erzählte von einem Treffen mit Steve Wozniak in Guatemala vor etwa zehn Jahren. Beim Abendessen machte er ein Selfie, indem er die Lautstärke-Taste des iPhones als Auslöser nutzte – genau so, wie Wozniak die Bedienung konzipiert hatte. Das inspirierte ein Kapitel über Nutzerverständnis: Jeder von uns ist eine Stichprobe von Eins. Wenn Sie nicht wissen, wie echte Menschen Ihr Produkt nutzen, bauen Sie wahrscheinlich das falsche Produkt.
Uri befragte das Publikum: Nutzen Sie die Karte visuell oder verlassen Sie sich auf Sprachansagen? Die meisten setzten auf den Bildschirm. Es gibt kein Richtig oder Falsch – aber Produktteams müssen die Nutzungsmuster kennen und priorisieren.
Simplicity schlägt alles
Was haben Google Search, das iPhone, Waze, Amazon und ChatGPT gemeinsam? Neben Technologie und Ausführung ist es Einfachheit. Vor dem iPhone kamen Geräte mit dicken Handbüchern; das iPhone lieferte die Erfahrung sofort. Leonardo da Vinci sagte: "Simplicity is the ultimate sophistication." Uri unterstrich: Einfachheit reduziert Reibung, senkt Support-Aufwand und erhöht Adoption.
Ein paar Anekdoten unterwegs
Uri erzählte, viele Leute hätten ihm gedankt: dafür, dass sie nicht mehr im Stau standen, dass sie keinem Blitzgerät mehr in die Falle tappten oder sogar, dass Waze Ehen gerettet habe, weil Autofahrer weniger streiten. Eine persönliche Geschichte betraf seinen Sohn: Als junger, unsicherer Fahrer weigerte sich der Sohn, zum Flughafen zu fahren, weil sein Handy kaputt war. Uri bot an, die Strecke als Beifahrer zu erklären. Der Sohn fragte: "Wie komme ich zurück?" Uri schloss mit einem Lächeln: Man verliert manchmal die Orientierung, aber nicht die Logik.
Q&A-Highlights: Praxistipps und Reflexionen
Auf die Frage, was die größte Lektion bei Waze war und was er anders gemacht hätte, antwortete Uri knapp: schneller handeln. Es ist leicht, zu lange in einer Komfortzone zu bleiben und an Features zu feilen.
Wie vermeidet man, sich in Features zu verlieben? Es gibt kein Patentrezept, aber weniger ist mehr. Er erzählte die LinkedIn-Geschichte: Das Team kürzte eine Wunschliste von dreißig Features auf zehn kritische. Nach dem IPO waren neun davon nie implementiert – die meisten Nutzer nutzen nur ein bis drei Features. Bauen Sie diese großartig, vergessen Sie den Rest.
Welche Monetarisierungsstrategie scheiterte? Anfangs glaubte Waze, Karten in großem Stil verkaufen zu können: kostengünstig, crowdsourced. Verkaufzyklen erwiesen sich jedoch als zu lang; das Modell wechselte schließlich zur Werbung. Auch die Suche nach dem Geschäftsmodell ist ein Iterationsprozess.
Welche Botschaft an seine Kinder? Eltern möchten, dass ihre Kinder glücklich sind. Uri rät: Ermutigen Sie Kinder, Vieles auszuprobieren, und lehren Sie sie, zu scheitern. Die Fähigkeit, die Komfortzone zu verlassen, ist ein Geschenk.
Abschließende Gedanken – Tempo und Chancen
Uri schloss mit einem Blick auf den rasanten Wandel: Stellen Sie sich vor, Sie würden 2007 in die Zeit zurückreisen und wichtige Apps wie iPhone-Apps, Waze, WhatsApp, Netflix, Uber oder Instagram verlieren. Die Welt hat sich in weniger als zwei Jahrzehnten dramatisch verändert. Viele der heutigen Marktführer waren vor zehn oder zwanzig Jahren noch nicht dominant; viele künftige Marktführer kennt heute noch kaum jemand. Vielleicht sitzt einer dieser Gründer heute im Publikum.
Der Weg zum Unicorn ist lang: Finden Sie ein großes Problem, reden Sie mit Nutzern, launchen Sie bevor Sie sich „bereit“ fühlen, iterieren Sie unermüdlich, messen Sie Retention, eliminieren Sie Unnötiges, treffen Sie harte Entscheidungen und bleiben Sie im Spiel, bis Product-Market-Fit erreicht ist. Erst dann – und nur dann – skaliert man erfolgreich.
Quelle: smarti
Kommentar hinterlassen