15 Minuten
Die Startup Fair 2025 in Vilnius veranstaltete eine offene, sehr praxisorientierte Session für Gründerinnen und Gründer, die vom Überleben ins Skalieren wechseln wollen, ohne den Boden unter den Füßen zu verlieren. Unter dem Titel Der Weg bis zur Series A: Der Startup Survival Guide berichteten zwei Operatoren, die den Weg tatsächlich gegangen sind, von ihren Erfahrungen: was funktionierte, was sich veränderte und wie sie Investoren von den baltischen Staaten bis nach New York navigierten. Das Gespräch reichte über neuneinhalb Jahre Beharrlichkeit in Deep-Tech-Tools für die Life Sciences, ein vertikal integriertes Energiespeicher-Unternehmen, das zum Stromanbieter wurde, sowie die praktischen Schritte, mit denen Kunden-Traktion in glaubwürdiges Fundraising verwandelt wird. Die Diskussion lieferte konkrete Hinweise zu Fundraising, Investor Relations, Produkt-Markt-Fit und Skalierungsstrategie.
Session Details
Moderator:
Carolin Wais, Partnerin bei Plug and Play
Podiumsteilnehmer:
John Graham, Mitgründer von Cactos
Juozas Nainys, Mitgründer und CEO von Atrandi Biosciences
Eine kurze Kommunikationsübung vor dem Survival Guide
Vor dem Panel stellte die Moderatorin eine kompakte Übung zur Verbesserung der Präsentationsqualität vor. Nimm ein drei Minuten langes Video über dein Startup oder ein Thema, das dir wichtig ist, mit dem Smartphone auf. Schau das Video anschließend zweimal an: Schließe zuerst die Augen und höre auf Tonfall, Sprechtempo, Pausen und Energie. Schau es dann stumm, um Körpersprache und nonverbale Signale zu bewerten. Bitte enge Kolleginnen und Kollegen um ehrliches Feedback, nutze es als positives Entwicklungsinstrument und konzentriere dich darauf, Stärken zu verstärken und offensichtliche Schwächen zu reduzieren. Diese einfache, aber effektive Übung verbessert Pitch, Investor-Meetings und Medienauftritte — wichtige Aspekte für Sichtbarkeit und Fundraising.

Carolin Wais eröffnete die Session mit der Anmerkung, dass Plug and Play vor zwei Jahren in Litauen aktiv wurde und sie selbst elf Jahre im Venture-Umfeld tätig ist, wobei sie Teams vom Pre-Seed bis zur Series A und darüber hinaus begleitet hat. Sie gestaltete die Diskussion interaktiv mit Slido und lud die anwesenden Gründer ausdrücklich ein, alle Fragen zu stellen, die sie bewegten — vom Produkt-Markt-Fit über Teamfragen bis zur Investorensuche.
Atrandi Biosciences: Neuneinhalb Jahre Aufbau für Wissenschaftler
Juozas Nainys skizzierte die Geschichte von Atrandi über neuneinhalb Jahre. Das Unternehmen wurde von fünf Mitgründern mit einer klaren Mission gegründet: Wissenschaftlern zu helfen, Biologie besser zu verstehen, indem man Laborinstrumente für die Life Sciences entwickelt. Er beschrieb die Arbeit in einfachen Worten als das Bauen besserer Mikroskope. Die Zugehörigkeit zur wissenschaftlichen Gemeinschaft ist ein zentraler Motivationsfaktor für das Team. Trotz der bereits investierten Zeit fühlt sich das Unternehmen intern weiterhin relativ frühphasig an. Er betonte, dass seine Empfehlungen aus der eigenen Erfahrung stammen und nicht als einzig gültiges Playbook zu verstehen sind.

Cactos: Von einer Trading-Software-Idee zur vertikalen Integration und Stromversorgung
John Graham brachte eine Dekade Erfahrung aus der Energiebranche mit. Er und seine Mitbegründer gründeten Cactos, ein vertikal integriertes Unternehmen für Batteriespeicher mit Sitz in Finnland, das auf drei Ebenen operiert.
Hardware. Das Batteriesystem selbst.
Software. Eine KI-gestützte Plattform, die das Asset für Kundinnen und Kunden optimiert und handelt.
Finanzierung. Ein alternativer Investmentfonds in Höhe von 70 Millionen Euro, der ein Leasing-basiertes Storage-as-a-Service-Modell ermöglicht.
Das Problem, das sie lösen wollten, war die zunehmende Volatilität der Strompreise im Zuge der Elektrifizierung der Gesellschaften. Ihr zunächst wahlweisender Ansatz zielte auf Preis- und Performance-Optimierung: Aufladen bei niedrigen oder negativen Preisen und Verkauf bei hohen Preisen. Er ergänzte, dass Cactos seit dem letzten Monat zusätzlich zur Speicherung auch als Stromanbieter auftritt und damit eine vertiefte Marktintegration erreicht hat.
Cactos wurde im Dezember 2021 gegründet. Die vergangenen vier Jahre fühlten sich in mancher Hinsicht schnell und in anderer Hinsicht lang an — ein typisches Gefühl für schnell skalierende Energie- und Hardware-Startups, die sowohl technische als auch regulatorische Hürden meistern müssen.

Wie sich Ideen entwickeln, wenn man auf den Markt hört
John erklärte, dass die Gründungsidee ursprünglich eine Software-Trading-Lösung war. Sie hatten bereits ein klares Branchenfokus und entschieden sich, eine europäische Lösung zu bauen, die nicht von importierter kritischer Hardware abhängig ist. Das trieb sie zur vertikalen Integration: Komponenten vom Zellen-Level aufwärts, eine hausinterne europäische Software zur Optimierung und zum Handel sowie ein Finanzierungsbaustein. Mit der Zeit erweiterte sich ihr Blick von lokaler Optimierung hin zum Stromvertrieb, gestützt durch Daten über Verbrauchs- und Produktionsmuster von Kunden sowie Netzengpässe. Diese Evolution zeigt, wie Marktfeedback zur Produktstrategie und Geschäftsmodell-Innovation führt.
Carolin fragte, wie sie entschieden, was als Nächstes gebaut werden sollte und wer diese Entscheidungen leitete. John sagte, die wichtigste Lernquelle seien Kundengespräche und die Marktentwicklung selbst gewesen. Investoren seien unterstützend und erreichbar gewesen, aber nicht in das Tagesgeschäft hineinregiert. Wenn er in vier Jahren zurückkehre, würde sich die Geschichte vermutlich erneut weiterentwickelt haben — ein Hinweis darauf, dass Flexibilität und Kundenzentriertheit kritisch sind.

Aus der Life-Sciences-Perspektive bestätigte Juozas die Aussage: Wissenschaftler gehen oft davon aus, zu wissen, was gebaut werden sollte. Man kann ein technisch ausgereiftes Produkt mit falschen Spezifikationen entwickeln und feststellen, dass es sich nicht verkauft. Die Lehre lautet: Höre genau auf Kunden, löse ihr tatsächliches Problem — auch wenn es nicht besonders glamourös klingt. Große Visionen sind wichtig, aber der erste Schritt ist ein Produkt, das Kunden kaufen. Diese kundenorientierte Validierung reduziert technologische Risiken und stärkt die Position bei Investoren.
Carolin unterstrich, dass zwei sehr häufige Fehlerquellen Teamprobleme unter den Gründern und das Entwickeln eines Produkts ohne Nachfrage sind. Sie fragte das Publikum, wer sich in der Pre-Seed- oder Seed-Phase befinde — ein Übergangspunkt zur nächsten praktischen Frage: Wie erreicht man die Series A?
Series A erreichen: Was tatsächlich geholfen hat
John skizzierte Cactos’ Fundraising-Weg. Superhero Capital in Finnland war ihr erster Investor. Als der Kapitalbedarf zunahm, stieg Union Square Ventures aus New York ein. Der erste Kontakt zu USV entstand, als Cactos gerade nicht aktiv Kapital suchte. Man unterhielt sich trotzdem, blieb in Kontakt, und beim dritten Gespräch war Cactos bereit. Bis dahin kannten sich beide Seiten gut. Eine wichtige Erkenntnis für Gründer: Beginnt frühzeitig damit, Investorbeziehungen aufzubauen — bevor ihr dringend Kapital benötigt. Fangt rechtzeitig an und dimensioniert den geplanten Finanzierungsbedarf realistisch.

Carolin hakte nach Sichtbarkeit: Wie finden Investoren euch überhaupt? John sagte, das Team habe starke Traktion in Finnland und in ganz Europa gezeigt. Er betonte, dass Europa überzeugende Technologie hervorbringen kann und dass das Erzählen der eigenen Geschichte an viele Menschen hilft, die Bekanntheit zu verbreiten. In ihrem Fall war es der richtige Partner zur richtigen Zeit, und das Gespräch entwickelte sich organisch weiter.
Carolin empfahl, bei Investoren Momentum zu erzeugen. Wenn euer Unternehmen gute Ergebnisse liefert, wird der erste interessierte Investor meist seinen Peers davon berichten. Macht eure Erfolge öffentlich, postet regelmäßig auf LinkedIn, verschickt Updates an interessierte Investoren und haltet den Kontakt auch, wenn ihr gerade nicht aktiv auf der Suche seid. Frühzeitige Sichtbarkeit vereinfacht spätere Finanzierungsrunden erheblich.
Juozas beschrieb, wie bei Atrandi die entscheidende Investorenbeziehung über einen Kunden zustande kam. Sie machten vieles wie andere Gründer auch: CRM, warme und auch kalte Introductions, ein Prozess, der zu mehreren Term Sheets führte. Dennoch kam der Investor, für den sie sich entschieden, über eine vertrauenswürdige Kundenbeziehung — im Rückblick eine sehr sinnvolle Verbindung. Er riet Gründerinnen und Gründern dazu, Kunden direkt nach Investor-Introductions zu fragen. Große Kunden und Key Opinion Leader sind oft in Kontakt mit Investoren und können wertvolle Verbindungen herstellen.

Carolin ergänzte, dass einige große Konzerne mittlerweile eigene Investment-Arme haben. In manchen Fällen kann euer Kunde auch zum Investor werden, was ein starkes Vertrauenssignal darstellt. Sie warnte jedoch, die Vertragsbedingungen so zu gestalten, dass künftige Investoren nicht abgeschreckt werden — etwa durch zu viele Beschränkungen oder ungewöhnliche Kontrollrechte.
Vertrauen bei globalen Investoren gewinnen
John beschrieb Vertrauen in einfachen, menschlichen Begriffen: Instinkt, Rapport und gegenseitiger Respekt. Sympathie für die Person auf VC-Seite hilft sehr. Das Kapital, das ihr aufnehmt, wird zweckgebunden eingesetzt; die Person, die später im Board sitzt oder auf der Cap Table steht, bleibt oft länger als das Geld. Stellt sicher, dass ihr gerne mit dieser Person zusammenarbeitet — sie wird euch strategisch begleiten.
Juozas riet dazu, langfristige Interessen klar abzugleichen. Wenn ein Fonds einen Exit in fünf Jahren erwartet, ihr aber mit einem Horizont von fünfzehn Jahren baut, seid offen oder nehmt das Angebot nicht an. Überlegt zuerst für euch, welches Unternehmen ihr aufbauen wollt: einen schnellen Verkauf, einen Börsengang oder langfristiges Privatbleiben? Wählt eure Investoren entsprechend — diese Entscheidungen beeinflussen sowohl technische Details als auch die Art von Beratung, die ihr erhaltet.
Carolin erinnerte daran, dass Due Diligence keine Einbahnstraße ist. Prüft, wann der Fonds zuletzt Kapital aufgenommen hat. Wenn ihr zu den letzten Investments eines Fonds gehört, könnte dieser einen früheren Exit erwarten. Schaut nach, ob sie in eure Wettbewerber investiert haben, und versteht ihre Netzwerke. Ziel ist eine Cap Table mit abgestimmten Zeitlinien und Anreizen, die das gemeinsame Wachstum fördern.

Kultur beim Skalieren: Von zehn auf dreißig und darüber hinaus
Carolin fragte, wie die Unternehmen ihre Kultur bewahrten, während die Teams wuchsen.
Juozas erklärte, dass Atrandi etwa achtzig Mitarbeitende in kleinen Clustern organisiert hat — wie mehrere Startups in einer Organisation. Kultur ist ein laufender Prozess. Vor zwei Jahren definierten sie ihre Unternehmenswerte. Anfangs war er skeptisch; heute sieht er die Werte in Entscheidungen und im Verhalten der Mitarbeitenden widergespiegelt. Kultur sollte eine geteilte Konversation zwischen Gründerteam und Führung sein und sich mit dem Wachstum weiterentwickeln. Was vor zwei Jahren funktionierte, ist nicht unbedingt heute noch passend.
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John zog einen Kontrast zu seiner früheren Konzernerfahrung in der Energiebranche: Keine Slogans an der Wand, Kultur entsteht durch tägliches Verhalten, Vertrauen und wie Menschen behandelt und eingestellt werden. Cactos wuchs von wenigen Köpfen auf rund 120–130 Personen. Respekt und das Vermeiden einer Besserwisserhaltung sind zentral. Er bevorzugt die Haltung, ein "Lern-alles" statt ein "Wissens-alles" zu sein. Während Teams wachsen, sind Strukturen nötig, aber Prozesse dürfen das Vorankommen nicht ersticken. Skalierung verlangt sowohl kulturelle Klarheit als auch organisatorische Agilität.
Publikumsfragen & Antworten
Wie navigiert man zwischen US- und EU-Investoren?
John empfahl, rechtlichen Beistand bereits auf Term-Sheet-Ebene hinzuzuziehen, eine gut geprüfte Gesellschaftervereinbarung unter den Gründern vorzuhalten und einen strukturierten Data Room mit möglichst vielen englischsprachigen Dokumenten vorzubereiten, um die Due Diligence zu beschleunigen. Die USA können ein attraktiver Kapitalmarkt sein, aber die Wahl des richtigen Partners ist entscheidend — und Klarheit zu Anfang vermeidet spätere Konflikte.
Carolin ergänzte einen praktischen Punkt: Präsenz vor Ort zeigt Wirkung. Reise in die USA und treffe Investorinnen und Investoren persönlich. US-Investoren sind sehr personenorientiert; Zeit im Valley oder in New York kann einen spürbaren Unterschied machen und Vertrauen schaffen.
Nimmt der Druck nach Series A zu?
Juozas nutzte eine Bergsteiger-Analogie: Du besteigst einen Hügel und entdeckst den nächsten. Mit jeder Finanzierungsrunde wird die Steigung steiler und der Einsatz größer. Ein Scheitern ist weiterhin möglich. In ihrem Bereich ist die Series A oder Series B kein Endpunkt. Wenn später etwas schiefgeht, sind mehr Menschen betroffen und mehr Kapital ist verloren. Erwartet nicht, dass die Series A alle Probleme löst — sie ist ein Meilenstein, kein Garant.

Welche limitierenden Überzeugungen mussten überwunden werden?
Juozas sagte, die Auseinandersetzung mit der US-Mentalität habe ihm geholfen, größer zu denken. Teams können mehr erreichen, als sie anfangs glauben. Wenn ihr etwas wirklich Großes bauen wollt, adaptiert diese Denkweise früh und skaliert sie passend zu eurem gewünschten Wachstum.
Abschließende Ratschläge zu Bewertung und Partnerwahl
Carolin bat um einen unterbewerteten Ratschlag als Abschlussfrage.
John riet davon ab, ausschließlich zur Maximierung der Bewertung zu finanzieren. Dimensioniert die Runde und die Bewertung angemessen und priorisiert einen passenden Partner vor einer hohen Bewertung. Langfristige Partnerpassung ist oft wertvoller als kurzfristiger Bewertungsboost.

Juozas stimmte zu. Wenn ihr mit einer Bewertung von 100 Millionen Euro einsteigt, kann die Hürde für die nächste Runde sehr hoch werden. Die Passung des Partners steht an erster Stelle — die Mathematik kommt danach. Eine realistische Bewertung mit unterstützenden Investoren erleichtert nachhaltiges Wachstum.
Carolin dankte den Sprecherinnen und Sprechern sowie dem Publikum. Applaus beendete die Session.
Praktische Takeaways für Gründer
Beginnt frühzeitig damit, Beziehungen zu Investoren aufzubauen, bevor ihr dringend Kapital benötigt.
Lasst euch von Kunden validieren und fragt sie aktiv nach Vorstellungen zu potenziellen Investoren.
Stimmt eure Zeitlinie und euer Endziel mit den Erwartungen des Fonds ab.
Baut Kultur durch Verhalten und Recruiting auf, macht Werte sichtbar und überprüft sie während des Wachstums regelmäßig.
Bereitet euch rechtlich und operativ auf Due Diligence vor: Term Sheets, Gesellschaftervereinbarungen und ein klar strukturierter Data Room sind hilfreich.
Konzentriert euch auf ein Produkt, das Kundinnen und Kunden tatsächlich kaufen, und hört kontinuierlich auf ihre Schmerzpunkte.
Vermeidet es, der höchsten Bewertung hinterherzulaufen, wenn sie eure nächsten Schritte gefährdet. Wählt den richtigen Partner.
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Quelle: smarti
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